Ode an die Freude
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Die Master-Studentin Judith Alpmann erzählt im Interview über ihr Auslandssemester in Indonesien während der Corona-Pandemie.
Einige von euch haben vielleicht auch den Traum von einem Auslandssemester während des Studiums. Einmal für eine begrenzte Zeit in eine fremde Kultur hineinschnuppern, ein neues Land erkunden und viele neue Menschen und ein anderes Uni-System kennen lernen – Das alles klingt nach Abwechslung, Abenteuer und vielen neuen Erfahrungen.
Judith Alpmann hat das Sommersemester 2020 größtenteils an der Universitas Gadjah Mada (UGM) in Yogyakarta auf Java , der bevölkerungsreichsten Insel Indonesiens verbracht. Diese Universität ist eine Partneruniversität der Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Judith studiert im vierten Fachsemester Kommunikation und Management in Lingen.
Sie hat sehr viel zu erzählen – denn es läuft eben nicht immer alles so wie geplant. Welche Erlebnisse die Master-Studentin aus Lingen im Gepäck hat, erfahrt ihr jetzt.
Hallo Judith! Deine Kommilitonen schreiben gerade an ihrer Master-Arbeit, doch du hast dich als Einzige dafür entschieden, ein Auslandssemester in Indonesien einzuschieben.
Warum wolltest du gerade nach Indonesien? Die Meisten zieht es ja eher in die europäischen Nachbarländer oder nach Australien oder Amerika.
Judith: Ja, das stimmt. Aber was ausgefallene Ziele angeht, bin ich erprobt. In meinem Bachelor war ich bereits für ein Auslandssemester in China, und habe dort viele tolle Erfahrungen machen dürfen. Diese wollte ich unbedingt noch einmal wiederholen, und bin daher bei meiner Recherche mehr oder weniger zufällig auf Indonesien gestoßen. Da ich mich bei der „WiSo“ beworben habe, hatte ich eine ziemlich große Auswahl an Ländern. Doch Indonesien hat mich von Anfang an begeistert mit seiner Vielfalt an Kultur, Sprachen, Religionen und natürlich der Natur. Von Vulkanen, Dschungel-Landschaften, traumhaften Stränden bis hin zu Reisfeldern oder versteckten Schwefelquellen hat das Land einiges zu bieten. Außerdem klang das vielfältige Modulangebot an der Universitas Gadjah Mada – alle nennen sie jedoch nur UGM – sehr spannend, da dort viele Seminare und Vorlesungen mit betriebswirtschaftlichem Fokus angeboten werden.
Welche Module hast du genau belegt? Gibt es deines Wissens nach auch Angebote für Bachelor-Studierende?
J: Meine Module an der UGM waren thematisch breit gefächert und sehr abwechslungsreich. Da ich gerne meine betriebswirtschaftlichen Kenntnisse noch weiter vertiefen wollte, hat mir das Angebot gut gefallen. Ich habe mich für Strategic Management, Leadership and Organizational Behavior, Business Ethics und Communication Leadership entschieden. Das Kursangebot im Bachelor war meines Wissens nach deutlich umfangreicher, da es viel mehr Bachelor- als Master-Studierende gab. Internationale Bachelor-Studierende konnten von interkulturellen Modulen über Rechnungswesen und Marketing bis hin zu Management-Modulen wählen. Im Master hatte man zwar weniger Auswahl, dafür bestanden die Lerngruppen aber zu einem großen Teil aus Einheimischen, was definitiv eine tolle Möglichkeit war, Kontakte zu Indonesiern zu knüpfen.
Dann kommen wir jetzt einmal zum Uni-Alltag: In wie weit unterscheidet sich das Studium in Indonesien von dem in Lingen? Gibt es fachliche oder strukturelle Unterschiede oder vielleicht sogar Ähnlichkeiten?
J: Tatsächlich ist der allgemeine Aufbau des Studiums sehr ähnlich. Allerdings gibt es inhaltlich und methodisch doch einige Unterschiede. Bei fast allen meiner Module gab es wöchentlich sehr viele Aufgaben und Gruppenarbeiten. Deutlich mehr, als ich aus Deutschland gewohnt bin. Am Anfang war ich von der riesigen Menge an Aufgaben etwas überfordert, jedoch merkt man schnell, dass inhaltlich längst nicht so viel gefordert wird wie von unseren Dozenten in Lingen. Aus meiner Sicht wird der Fokus eher auf Quantität als auf Qualität gesetzt und auch das Niveau ist zum größten Teil deutlich niedriger.
Außerdem haben die Indonesier ein anderes Zeitgefühl als wir Deutschen. „Ich komme, wenn’s halt passt…“ beschreibt es wahrscheinlich am besten. Natürlich hatte ich schon in einigen Büchern und Erfahrungsberichten davon gelesen. Trotzdem ist man immer wieder etwas überrascht, wenn die indonesischen Freunde, statt wie abgemacht um drei, nach und nach gegen halb vier oder vier Uhr eintrudeln, und es völlig normal zu sein scheint.
Gerade an dieses Zeitverständnis muss man sich als Deutsche erst einmal gewöhnen. Dazu muss ich jedoch sagen, dass die Indonesier nicht immer zu spät kommen dürfen. In der Uni beispielsweise werden Verspätungen oder Nicht-Erscheinen nicht gerne gesehen. Im Unterschied zu Deutschland beginnt hier der Uni-Tag bereits ab 7 Uhr morgens und es herrscht in allen Veranstaltungen Anwesenheitspflicht. Wer den Raum nur zehn Minuten zu spät betritt, wird direkt als fehlend eingetragen. Pro Modul darf man sich nicht mehr als drei Fehltage erlauben. Vielleicht ist diese Reglung der UGM auch eine kleine erzieherische Maßnahme für die zeitlich sehr entspannten Einheimischen mit dem Motto: „Go with the flow!“
Was hat dir besonders gut am Studium vor Ort gefallen?
Judith: Eine besonders tolle Erfahrung für mich war definitiv, dass ich über die Gruppenarbeiten einige Indonesier besser kennen lernen und viele spannende Einblicke in die Kultur bekommen konnte. Wir sind oft nach der Uni oder nach Projektarbeiten zusammen etwas Essen oder Trinken gewesen und sie haben mir viel von ihrem Leben und ihrer Kultur erzählt.
Besonders spannend waren auch die intensiven Diskussionen in Business Ethics. In dem Modul waren wir eine sehr heterogene Gruppe mit vielen unterschiedlichen kulturellen Hintergründen. Daher gab es oft Diskussionen über Themen, auf die ich als Deutsche teilweise einen anderen Blick habe als meine indonesischen Kommilitonen. Beispielsweise haben wir ausgiebig über die Frage: „Darf man als Unternehmen bestechen?“ , debattiert.
Wo genau hast du gewohnt und wie hat es mit der Wohnungssuche bei deiner Ankunft geklappt?
J: Allgemein kann man sagen, dass die Wohnungssuche auf Java sehr entspannt ist und man sich absolut keine Sorgen machen braucht, ob man etwas findet. Über Erfahrungsberichte von Ehemaligen oder über Facebook-Gruppen bekommt man ziemlich schnell die Kontakte der gängigen Vermieter für internationale Studierende. Außerdem haben mich meine „Buddies“ aus der Uni bei der Zimmerwahl unterstützt und beraten.
Bei meiner Wohnungssuche habe ich einfach meinen Vermieter per WhatsApp kontaktiert und einen Besichtigungstermin ausgemacht. Vor Ort kann man direkt mündlich zusagen, wenn einem die Wohnung gefällt. Einen Mietvertrag habe ich nicht abgeschlossen und auch sonst wird alles sehr entspannt gehandhabt. Die Kommunikation verläuft eigentlich fast ausschließlich über WhatsApp. Aufgrund der aus europäischer Sicht relativ niedrigen Preise gibt es auf Java eine sehr große Auswahl an Zimmern und Wohnungen. Von einem kleinen Zimmer mit Bad oder einem Anwesen mit eigenem Pool ist alles dabei. Ich habe in Yogyakarta in einer Wohnanlage gelebt und natürlich auch die Chance genutzt, einmal ein eigenes Zimmer mit Pool vor der Tür und schöner Gartenanlage zu haben.
Was sind deine Insider-Tipps für Indonesien? Hast du bestimmte Lieblingsorte oder Lieblingsgerichte?
J: Zu meinen favorisierten Orten gehört auf jeden Fall Karimunjawa, eine wunderschöne Inselgruppe mit traumhaften Stränden und Sonnenuntergängen vor Java. Außerdem kann ich einen Ausflug nach Lombok zum Schnorcheln und Beach-Hopping sehr empfehlen. Laut der Einheimischen ist Lombok vom Ambiente das, was Bali einst einmal war und deutlich weniger touristisch. Aber auch der Aussichtspunkt bei der Teeplantage „Nglinggo tea plantation“ ca. zwei Stunden entfernt von Yogyakarta oder die Reisfelder auf Java sind sehr schön. Es gibt einfach zu viele tolle Orte!
Beim Essen wird es auch schwierig sich zu entscheiden. Gemüsegerichte mit Tempeh wie z.B. Gado Gado oder Lotek sind immer überall super frisch und lecker. Natürlich darf auch eine frische Kokosnuss nicht fehlen.
Ganz ab vom Essen und den schönen Orten kann ich jedem nur empfehlen, Scooter fahren zu lernen – auch wenn der Straßenverkehr zu Beginn etwas angsteinflößend ist. Der Scooter ist einfach das Fortbewegungsmittel in Indonesien und es macht super viel Spaß damit auch schon am frühen Morgen zur Uni zu düsen. Ich empfehle euch im Voraus die Apps „GoJek „oder „Grab“ herunterzuladen, damit ihr jederzeit einen Scooter-Fahrer in der Nähe findet, wenn ihr nicht selbst fahren möchtet.
Das klingt alles nach ganz viel Abenteuer und vielen neuen Erfahrungen.
Und dann kam Corona.. Wie wurde mit der Situation in Indonesien umgegangen?
J: In Indonesien gab es lange kaum Corona-Fälle, die befürchtete Dunkelziffern mal ausgenommen. Als es in Deutschland bereits die ersten Schließungen und Lockdowns gab, war die Welt in Indonesien gefühlt noch in Ordnung. Jedoch änderte sich die Lage schlagartig übers Wochenende. Die Fallzahlen schossen in die Höhe, Unis wurden geschlossen, Social Distancing eingeführt und überall Desinfektionsmittel verteilt. Viele Boote durften nicht mehr am Festland anlegen.
Ich bin gerade noch zusammen mit Freunden von meinem Wochenendausflug von Lombok zurückgekommen. Innerhalb von drei Tagen spitze sich die Lage im Land drastisch zu. Das Gesundheitssystem war bereits zu diesem Zeitpunkt stark überlastet und viele ausländische Botschaften begannen Reisende in ihre Heimatländer zurückzurufen. Die ganze Situation verschlimmerte sich so schnell, dass ich mir nur langsam über den Ernst der Lage und die Folgen für mein Auslandssemester in Indonesien bewusst geworden bin.
Die deutsche Botschaft hat auch dich kontaktiert, sofort das Land zu verlassen.
Wie abenteuerreich waren deine letzten Tage in Indonesien? Wie turbulent war die Rückreise?
J: Es fühlte sich an wie in einem schlechten Traum und am Ende ging alles ganz schnell. Donnerstags kam der Anruf der deutschen Botschaft, dass ich so schnell wie möglich innerhalb der nächsten ein bis drei Tage das Land verlassen und Richtung Europa fliegen sollte. Dank der Unterstützung meiner Familie habe ich über ein deutsches Reisebüro einen Rückflug für den Samstag, 21. März, buchen können. Das war gar nicht so einfach, da Emirates bereits keine deutschen Staatsbürger mehr transportieren wollte. Außerdem musste ich vermeiden, viele Zwischenlandungen in Corona-Hotspot-Regionen zu haben, um nicht in einem Transit-Bereich zu stranden. Die Ungewissheit, ob ich trotz Flugticket, wie geplant in Deutschland ankommen werde, war sehr groß.
Am Flughafen herrschte eine sehr komische Stimmung. Alle Reisenden, fast ausschließlich Europäer, wirkten sehr nervös und beunruhigt. Als ich nach einigen Zwischenlandungen in den Flieger von Doha nach München gestiegen bin, ist mir Wort wörtlich ein Stein vom Herzen gefallen. Bei meiner Ankunft in München muss ich jedoch zugeben, dass ich aufgrund der kaum vorhandenen Sicherheitsvorkehrungen sehr geschockt war. Es gab so gut wie keine Informationen für die Einreisenden über Verhaltensregeln, Quarantäne-Reglungen oder Ähnliches. Und dass, obwohl Bayern an diesem Wochenende bereits die Ausgangssperre verhängt hatte.
Wie geht es jetzt für dich weiter…? Wird es jetzt ein Home-Uni-Auslandstrimester?
J: Nach meiner Ankunft in Deutschland bin ich selbstverständlich erst einmal zwei Wochen freiwillig in Quarantäne gegangen, da ich durch die Rückreise und den Aufenthalt in einigen Corona-Hotspot-Regionen durchaus hätte infiziert sein können. Zum Glück war aber nichts der Gleichen der Fall. Die zwei Wochen sind jetzt schon um, und ich habe bereits eine Woche Home-Uni hinter mir.
Ich habe mich entschieden, das indonesische Semester nun offiziell online zu beenden. Die Prüfungen und die Vorlesungen wurden alle zeitlich vorgezogen, sodass ich bereits Anfang Mai das Semester abschließen kann. Zum Glück haben sich meine Dozenten bei den Online-Veranstaltungen ein wenig nach der europäischen Zeitverschiebung gerichtet, sodass ich mich nur einmal in der Woche für eine Veranstaltung nach deutscher Zeit um fünf Uhr morgens aus dem Bett quälen muss.
Sobald alle Prüfungen geschrieben sind, wie das ganze abläuft, ist noch etwas ungewiss, werde ich meinen Fokus auf meine Masterarbeit richten.
Vielen Dank Judith für dieses sehr inspirierende und spannende Interview und die tollen Fotos. Wir wünschen dir alles Gute und viel Erfolg für deine indonesischen Prüfungen und deine Master-Arbeit.
Bleibt‘ gesund!
Das Interview wurde Ende April geführt.
Bildquelle: Judith Alpmann