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Freude schöner Götterfunken
Es sind wilde, turbulente Zeiten, in denen sich unsere Welt gerade befindet. Manchmal kommt es mir morgens nach dem Aufwachen so vor, als wäre das nur ein Traum gewesen. Aber die Corona-Krise ist mehr als real und betrifft uns mittlerweile alle. Von Fenstern und Balkonen singen und musizieren die Leute hierzulande die „Ode an die Freude“, Beethovens 9. Symphonie oder sie klatschen. Zugegeben, das klingt bei den Italienern schon etwas anders, trotzdem hat es Symbolcharakter. Es soll ein Dankeschön sein für alle die, die systemrelevant sind und wie Macron, Johnson oder Trump so schön sagten, „an der Front im Krieg“ kämpften.
Ich lebe meinen Studien-Alltag eigentlich so weiter wie bisher, nur dass ich meinen Handyakku dreimal täglich aufladen muss und den ganzen Tag in irgendwelchen Video-Konferenzen stecke. Ein bisschen professioneller als sonst fühlt sich das aber schon an; fast so wie echtes Homeoffice. Das geht gerade vielen so: Der Großteil meiner Freunde studiert und sitzt dementsprechend zu Hause. Aber so richtig betroffen macht uns das nicht. Zwar hat es sich wahrscheinlich noch nie so leicht angefühlt, die Welt zu retten, wie jetzt. Trotzdem fühlt es sich sehr befremdlich an, vom Sofa aus Geschichte zu schreiben, darum wollte ich lieber anfangen, vom Sofa aus Geschichten zu schreiben. Heute schreibe ich deshalb über Lena und Merle. Beide sind Freundinnen von mir seit der Schule. Beide kenne ich unglaublich gut, habe dennoch nicht so viel Ahnung, was bei ihnen gerade so los ist. Einmal, weil wir uns nicht mehr so häufig sehen, anderseits weil sie beide in Krankenhäusern arbeiten. Dass ihr Alltag gerade nicht so verläuft wie meiner, das habe ich mir schon gedacht. Wie er genau aussieht, habe ich nachgefragt:
Wer seid ihr denn überhaupt?
M: Ich bin Merle, 22 Jahre alt, ich wohne in Hannover und mache eine Ausbildung zur Anästhesietechnischen Assistentin (kurz ATA).
L: Ich bin Lena, 22 Jahre alt und habe die Ausbildung zur Operationstechnischen Assistentin (kurz OTA) im Sommer 2019 abgeschlossen und arbeite seitdem hauptsächlich im Unfallchirurgischen OP.
Was gefällt euch am meisten an eurem Job?
L: Kein Tag ist so richtig wie der andere und man hat jedes Mal wieder Patienten mit den verschiedensten Krankheitsbildern auf dem OP-Tisch. Auch die Interaktion mit den Kollegen und Ärzten und das Gefühl, gebraucht zu werden, das gefällt einem schon am Ende des Tages. Und natürlich wächst man ja auch immer mit seinen Aufgaben.
M: Am meisten gefällt mir, dass ich Patienten, die sich vor einer OP ja nun in wirklich außergewöhnlichen Situationen befinden, die Ängste nehmen kann. Ich kann ihnen einfühlsam beistehen.
Würdet ihr sagen, dass ihr größere Verantwortung tragt als andere in eurem Alter?
M: Ich würde schon sagen, dass ich große Verantwortung habe, einfach weil ich Narkosemittel spritze. Aber ich fühle mich besonders jetzt während der Pandemie verantwortlich, mein Bestes zu geben, mitzuhelfen. In solchen außergewöhnlichen Situationen wird jede Hand gebraucht, und es gehört in meinem Beruf dazu, überall mitzuhelfen.
Gibt es bisher Veränderungen in eurem Arbeitsalltag durch Corona?
L: Die gibt es bei uns auf jeden Fall. Wir als OP-technisches Personal werden nun auf der Intensivstation gebraucht und dort eingearbeitet, um Hilfsarbeiten zu leisten und das Personal dort zu unterstützen. Insgesamt merkt man, dass weniger OPs angesetzt sind, wir haben einmal das Notfallprogramm und sogenannte elektive Eingriffe, welche deutlich weniger geworden sind. Auch unsere Pausen sind ganz anders als sonst; man verbringt sie getrennt voneinander. Es ist auch viel weniger los. Bei uns sind keine Besucher auf dem Gelände mehr gestattet und Mitarbeiter werden am Eingang kontrolliert. Das fühlt sich schon sehr befremdlich an, auch wenn alles einen Zweck hat. Auch, dass es weniger OPs gibt, fühlt sich für mich ein bisschen an wie die Ruhe vor dem Sturm. In gewisser Weise ist es das bestimmt auch, da die Arbeit auf der Intensivstation bald sehr viel mehr gebraucht sein wird.
M: Mit Sicht auf mich persönlich, aber auch auf das gesamte Krankenhaus kann ich sagen: es werden durchgängig Schutzmasken getragen. Ich desinfiziere meine Hände nochmal mehr als normal. Es soll zwischen den Mitarbeitern Abstand eingehalten werden, aber sobald man in Kontakt mit den Patienten ist, kann da kein Abstand sein. Das ist nicht möglich. Das klappt halt einfach nicht. Außerdem gab es eine Personalumverteilung: Ärzte wurden an Beatmungsgeräten und Narkosegeräten eingearbeitet, um sich bestmöglich auf kommende Patienten vorzubereiten.

Alle Menschen werden Brüder?
Fast so wie im Film, finde ich. Aber die große Welle ist bisher doch noch nicht über Deutschland gebrochen, jedenfalls nicht, wenn man die schrecklichen Zahlen aus Italien, Spanien oder den USA betrachtet. Hatten wir bisher also nur Glück? Woran liegt es, dass die Sterberate der Infizierten in Deutschland bisher so vergleichsweise niedrig ist? Zum Einen ist das durchschnittliche Alter der Erkrankten deutlich niedriger als in anderen Ländern, zum Anderen werden und wurden in Deutschland sehr viel mehr Tests durchgeführt, die eine Infektion frühzeitig aufzeigen können. All das gibt einem doch zu denken. Eine globale Krise, die sich mittlerweile auf die Psyche, das Zusammenleben und die Weltwirtschaft auswirkt. Längst ist die Zeit vorbei, in denen man sich Scherze erlauben kann und etwas Vergleichbares haben wir alle noch nicht erlebt. Aus Fenstern tönt die Europahymne als Zeichen der Dankbarkeit und Anerkennung aller Helfenden. Aber leidet neben uns Menschen auch unser Europa? Die Europäische Union ist eigentlich gemacht für Zeiten wie diese, in denen sich Länder gegenseitig helfen müssen. Aber zeigte nicht bereits die Flüchtlingskrise, dass am Ende jeder zum Einzelkämpfer wird? Plötzlich darf man das Land nicht mehr verlassen und die Grenzen werden geschlossen und bewacht. Jedes Staatsoberhaupt verfolgt gerade seinen eigenen Plan, um aus der Krise herauszukommen. Sowas habe ich noch nie erlebt und hoffe wirklich sehr, dass ich das nie mehr muss. Nie zuvor war mir so bewusst, wie wichtig es ist, in einer freien Demokratie zu leben. Trotzdem macht es mir Angst, dass von einer europäischen Gemeinschaft momentan nur sehr wenig zu spüren ist. Eine Öffentlichkeit für Europa scheint es in der Tat nicht zu geben, aber ich hätte nicht gedacht, dass es erst eine Pandemie braucht, um uns das zu zeigen. Aber das sind nur meine Ängste, ich frage mich trotzdem:
Habt ihr Angst vor dem, was noch kommt?
M: Angst nicht, aber Respekt. Ich hoffe, dass wir uns durch die Vorlaufzeit in Deutschland gut wappnen und es keine Zustände werden wie in Spanien oder Italien. Dadurch, dass ich jetzt genau mitbekomme, wie gut das Personal eingearbeitet wird, blicke ich eigentlich sehr zuversichtlich, aber mit Respekt in die Zukunft.
L: Nein, aus medizinischer Sicht habe ich davor keine Angst. Ich fühle mich durch die Klinik gut geschützt und vorbereitet. Bei uns wurde sehr früh angefangen, weitreichende Maßnahmen zu treffen. Ich hoffe trotzdem, dass das Ganze ein Signal ist für andere große Krankenhäuser, das Land besser auf solche medizinischen Ausnahmesituationen vorzubereiten. Andererseits gibt es momentan ja wöchentlich neue Situationen, eine kleine Ungewissheit ist deshalb natürlich immer da. Trotzdem muss ich sagen, fühle ich mich in meinem Haus gut aufgehoben.
Wem der große Wurf gelungen, eines Freundes Freund zu sein
Ich bin froh darüber, in einem Land zu leben, dessen Gesundheitssystem derzeit noch so gut funktioniert. Ich bin sehr dankbar über alle Helfer, die eine weitaus wichtigere Aufgabe verfolgen als ich gerade. Auch bin ich froh um jeden, der zuhause bleibt, obwohl doch draußen so ein schönes Wetter ist. Falls es euch heute noch niemand gesagt hat: Dankeschön!
Zum Schluss interessiert mich nur noch eins:
Auf einer Skala von 1 bis 10, wie stolz sind eure Mamas auf euch?
Das ist bei beiden natürlich eine glasklare 10! Danke, dass ihr da bleibt.
Das Interview stammt von Mitte März 2020; #StayAtHome
[…] Arbeit im Krankenhaus zu erfahren. Herausgekommen ist frei nach Schiller und Beethoven eine Ode an die Freude, bzw. eine Ode an die […]