August:ine – Bluten ist kein Luxus
14. August 2021August:ine – Die Rolle der Frau in anderen Ländern
26. August 2021Paragraph 219 – Warum wir uns endlich davon verabschieden sollten
Paragraph 219 muss weg.
Dafür plädieren viele Frauen (und Männer) seit vielen Jahren und trotzdem tut sich kaum etwas. Noch vor ein paar Wochen habe ich in unserer Lokalzeitung einen Artikel über das Bußgeld des örtlichen Gynäkologen gelesen, der für die Angabe von Informationen über seine Abtreibungsmethoden eine Summe von 3.000 Euro zahlen musste. Damit verstößt er nämlich gegen Paragraph 219a des Strafgesetzbuches, der das „Werbeverbot“ für Schwangerschaftsabbrüche regelt. Im folgenden soll kurz die aktuelle Gesetzeslage im Falle eines Schwangerschaftsabbruchs erklärt werden, um anschließend in Form eines Kommentars deren Konsequenzen zu verdeutlichen.
Die aktuelle Gesetzeslage
§219 des StGB steht unter dem Titel „Beratung der Schwangeren in einer Not- und Konfliktlage“ und verbietet wörtlich die „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“. Ziel der Beratung ist demnach der Schutz des ungeborenen Lebens. So heißt es in §219 weiter: „Sie [die Beratung] hat sich von dem Bemühen leiten zu lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen […]“. Zum Verständnis: §218 ist es, der die Straffälligkeit eines Schwangerschaftsabbruchs festlegt. §219 schreibt die Verpflichtung zur Beratung in der Notsituation vor, während daran anknüpfend §219a die Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft verbietet.
Problematisch an der derzeitigen Gesetzeslage ist meiner Meinung nach vor allem §219, die Pflicht zur Beratung, ebenso wie §219a, das Verbot zur Werbung für Schwangerschaftsabbrüche. Dass eine Frau in der Notsituation einer ungewollten Schwangerschaft keinen Zugang zu den entscheidenden Informationen bekommen kann, weil diese als „Werbung“ abgestempelt werden, ist nicht nur extrem problematisch für die Frau, sondern vor allem ziemlich überholt. Als würden Ärzt:innen mit Sonderrabatten dafür werben, noch diesen Monat möglichst viele Treuepunkte im Abtreiben zu sammeln.
Mich stört hierbei schon der Begriff Werbung, weil er faktisch fehl am Platz ist. Eine Ärztin oder ein Arzt informiert nicht über einen Schwangerschaftsabbruch, weil sein Ziel ist, möglichst viele ungeborene Kinder abzutreiben. Ärzt:innen informieren über einen Schwangerschaftsabbruch, weil es ein medizinischer Noteingriff ist, über den ich mich online genauso gut informieren können will, wie über andere Noteingriffe auch. Mehr noch, wenn ich doch als Frau in der eh schon belastenden Situation einer ungewollten Schwangerschaft bin, dann will ich doch dann, und gerade dann, nicht allein gelassen werden und keine Ahnung haben, wo ich welche Methoden finden kann.
Selbsternannte Lebensschützer:innen stellen dabei das Leben des ungeborenen Kindes über die Selbstbestimmung der Mutter, in ihren Augen ist eine Abtreibung der Mord des eigenen Kindes. Diese Formulierung ändert für mich nichts daran, dass es in erster Linie der Körper der Frau ist, der geschützt werden sollte und nicht der des Kindes, das sie wahrscheinlich nicht zeugen wollte.
Das Argument der Pro Life Bewegung, demnach das Leben mit der Zeugung beginne, ist natürlich kein Argument was zum Schutz der Mutter einfach außer Kraft gesetzt werden kann, auf keinen Fall. Im Gegenteil, das Grundrecht auf Leben kann und sollte grundsätzlich nicht durch andere Gründe außer Kraft gesetzt werden können.
Es geht Pro Life-Aktivist:innen hierbei ja auch nicht darum, der Schwangeren weniger Rechte zuzusprechen, sondern in erster Linie sollte es um eine konsistente und kohärente Lebensethik gehen, die auf humanistischen Werten basiert. Und die sieht keine Rechtfertigung vor, ein ungeborenes Leben zu beenden, da Mutter und Kind gleich wertvoll seien. Es sollte niemals Mensch gegen Mensch abgewogen werden, sondern zwischen Rechten entschieden werden. Und in allen anderen Fällen ist klar, dass das Selbstbestimmungsrecht des Menschen dort endet, wo das Lebensrecht des anderen beginnt.
Darauf aufbauend argumentieren Lebensschützer:innen damit, dass Gesetzgebung sich nicht an Emotionen orientieren könne und der Staat Schwächere zu schützen habe. Das ist für mich um ehrlich zu sein eine Argumentation, die ich einfach widersprüchlich finde.
Denn gerade dann, wenn wir die emotionale Ebene verlassen und aufhören wollen von „Mord“, einem „Akt der Gewalt“ und „Lebensschützung“ zu reden, gerade dann wird doch klar, dass es nicht das ungeborene Kind ist, was einen Fürsprecher braucht, sondern die Frau, die ungewollt schwanger ist, aber keine Mutter werden will.
Wenn wir aufhören, Emotionen und Lebensethiken gegeneinander abzuwägen und stattdessen anfangen, uns mit der Realität auseinanderzusetzen, dann wird klar, dass 90 Prozent der Alleinerziehenden Frauen sind und ein großer Teil von ihnen armutsgefährdet ist. Dann wird klar, dass wir einem Opfer von Vergewaltigung keine innere Stärke zusprechen müssen, um ein Kind auszutragen, sondern wir unsere Diskussionen lieber dem Schutz der Frauen widmen müssten. Und dann sollte uns auch klar werden, dass es ein klares Grundrecht der Frau ist zu entscheiden, ob sie eine Schwangerschaft austrägt oder nicht.
Denn während Lebensschützer:innen darüber reden, dass Frauen ihre Stärke und ihr Potential, ein Kind austragen zu können, unterschätzen und dass das unterstützende Umfeld in den meisten Fällen vorhanden sei (eine ziemlich privilegierte Position, die garantiert nicht jede Frau teilen kann), dann will ich ihnen entgegensetzen, dass es genauso von Stärke zeugt, eigenverantwortlich die Entscheidung treffen zu können, ein Kind nicht zu bekommen.
Auffällig in der Debatte ist, dass die eine Seite von einem Schutzgesetz des ungeborenen Kindes spricht, während die andere Seite den Schutz der Mutter gefährdet sieht. Hier wird dann im Endeffekt doch Leben gegen Leben, beziehungsweise Schutz gegen Schutz abgewogen, oder es stellt sich zumindest die Frage, wen wir mehr in Schutz nehmen müssen, wem das Gesetz in diesem Fall dienen soll und unter welchen Aspekten ein Schwangerschaftsabbruch straffrei bleibt.
Ich denke, dass es sowohl gesellschaftliche als auch politische Aufgabe ist, Müttern, ganz egal ob gewollt oder ungewollt schwanger, einen unkomplizierten Behandlungsprozess zu ermöglichen. Schwangerschaftsabbrüche sind ein emotional sehr aufgeladenes und stark stigmatisiertes Thema. Und so lange es den Paragraphen 219 gibt wird sich daran meiner Meinung nach nicht viel ändern, denn er erschwert es ungewollt Schwangeren, sich die Hilfe holen zu können, auf die sie jedes Recht haben.