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Was definiert Weiblichkeit im Sport?
Die Frage nach Weiblichkeit im Sport ist mehr als ein persönliches Thema – sie spiegelt gesellschaftliche Normen, Vorurteile und Veränderungsprozesse wider. Wie passen muskulöse Frauen in eine Welt, die den weiblichen Körper noch immer nach engen, unter anderem historisch gewachsenen Idealen bewertet?
Schönheitsideal der Frau im Wandel
Die Vorstellung von Weiblichkeit hat sich seit jeher gewandelt. Die Venus von Milo mit ihren weichen Rundungen, die geschnürte Wespentaille des 19. Jahrhunderts, die üppige „Vollweiblichkeit“ von Marilyn Monroe oder die mageren Silhouetten der 1960er Jahre à la Twiggy: Jede Epoche prägte ihre Ideale. Heute scheint sich das Bild „Strong is the new skinny“ zumindest in den sozialen Medien durchzusetzen. Frauen mit sichtbaren Muskeln und definierten Körpern feiern sich in den sozialen Medien – und ich bin Teil dieser Blase.
Aber der gesellschaftliche Blick auf muskulöse Frauen ist ambivalent. Meine eigenen Erfahrungen spiegeln das ebenso wider, wie die von prominenten Sportlerinnen. Die Kugelstoßerin Christina Schwanitz wird in den sozialen Medien als „Mannweib“ beschimpft. Die Tänzerin Christina Hänni berichtet, dass sie trotz ihrer Spitzenleistungen immer wieder als zu dick für ihren Beruf bezeichnet wurde. Und die Siebenkämpferin Carolin Schäfer erfährt Lob und Kritik gleichermaßen: „Zu viele Muskeln“, heißt es online, doch sie kontert: „Das zeige ich, dazu stehe ich, und das ist weiblich“.
Zwischen weiblicher Kraft und Kritik
Wenn ich im Fitnessstudio trainiere, spüre ich vor allem eines: Kraft. Doch sobald ich den Raum verlasse, begleiten mich manchmal andere Gefühle. Kürzlich sagten mehrere Männer unabhängig voneinander: „Vielleicht solltest du mehr laufen und weniger Krafttraining machen. Dein Oberkörper ist ganz schön breit geworden.“
Es war nicht das erste Mal, dass ich mir diese Frage stellte: Warum scheint körperliche Stärke bei Frauen für manche ein Problem zu sein? Und warum löst ein muskulöser Frauenkörper immer noch Diskussionen über Weiblichkeit aus?
Die Profi-Bodybuilderin Lena Ramsteiner kennt diese Fragen nur zu gut. Nachdem sie zunächst trainierte, um Vorurteile über ihre damals „zu“ schlanke Statur zu entkräften, sieht sie sich heute mit Kommentaren wie „Das ist doch unnatürlich, das kann eine Frau doch gar nicht schaffen“ konfrontiert.
Das Spannungsfeld zwischen Leistung und Weiblichkeit zeigt sich besonders drastisch bei außergewöhnlichen Erfolgen. Eine Arte-Dokumentation zitiert den Vorwurf: „Wenn du als Mann außergewöhnlich gut bist, bist du ein Supermann. Wenn du als Frau außergewöhnlich gut bist, kannst du nur ein Mann sein“. Beispiele dafür gibt es viele: Die Sprinterin Helen Stephens musste 1936 nach einem Olympia-Sieg ihre Weiblichkeit beweisen, ebenso wie Caster Semenya 2009, die wegen ihrer überdurchschnittlichen Leistung und ihres markanteren, „männlichen“ Aussehens Olympiagold nur unter Vorbehalt gewann. Die damals 18-jährige Semenya musste sich bereits in dem jungen Alter der öffentlichen Debatte über ihr Geschlecht stellen, da ihr Körper mehr Testosteron als üblich produziert. Ihretwegen und anderen Athletinnen mit ähnlichen Geschichten führte der Leichtathletik-Weltverband eine Regelung ein, wonach Frauen bei „geschlechtsspezifischen Entwicklungsunterschieden“ ihren höheren Testosteronspiegel medikamentös senken müssen, um weiter an Wettkämpfen teilnehmen zu dürfen.
Bis heute kämpft Semenya vor Gericht gegen diese Regelung. Ihr Fall liegt derzeit beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Der weibliche Körper als Projektionsfläche
Für Frauen ist der Körper nicht nur das physische Selbst, sondern oft auch eine gesellschaftliche Projektionsfläche. Jede Form wird bewertet, kommentiert, kontrolliert. Das erlebe ich im Kraftsport genauso wie Christina Luft als Tänzerin oder Carolin Schäfer als Leichtathletin. Es scheint, als müsse Weiblichkeit immer einer engen Norm entsprechen: stark, aber nicht zu stark; schlank, aber nicht mager; kurvig, aber nicht zu üppig.
Die Professorin Paula-Irene Villa bringt das Dilemma auf den Punkt:
„Frauen müssen die Balance zwischen neuer Stärke und traditioneller Weiblichkeit finden“
Doch wer definiert diese Balance? Die Grenzen scheinen willkürlich und streng zugleich. Was für die eine cool und selbstbewusst wirkt, ist für die andere „zu viel“ – ein ewiges Urteilsspiel, das Frauen selten gewinnen können.
Mein Körper, mein Ideal
Krafttraining bedeutet für mich Selbstverwirklichung. Ich liebe das Gefühl, meinen Körper zu beherrschen, ihn zu spüren und zu formen. Es ist mein Weg, mich von alten Idealen zu befreien, die mein Denken lange geprägt haben. Aber auch ich bin nicht immun gegen gesellschaftliche Einflüsse, die mich manchmal zweifeln lassen: Ist mein breiter Rücken „zu männlich“? Muss ich mich anpassen, um den Vorstellungen anderer zu entsprechen?
Die Antwort lautet: Nein. Die Kommentare der Männer, die mir raten, mehr zu laufen und weniger zu heben, sagen mehr über sie aus als über mich. Sie zeigen, wie tief traditionelle Vorstellungen von Weiblichkeit verankert sind – und wie wenig Raum sie für Vielfalt lassen.
Vielleicht weist die Frage, die Elli Hachmann auf Instagram stellte, den Weg zu einer größeren Befreiung:
„What if it doesn’t matter?“
Weiblichkeit sollte keine Frage des Aussehens sein. Sie ist das, was jede Frau in sich selbst definiert – ob schlank, stark, muskulös oder kurvig. Der Körper einer Frau gehört niemandem außer ihr selbst.