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Reisen, Abenteuer, neue Leute und eine Menge Spaß – diese Vorstellung haben wohl die meisten Menschen von einem Auslandsjahr. Auch die 19-jährige Sofie aus der Nähe von Gießen hatte zu Beginn ihres Au Pair-Jahres in New York, im Sommer 2019, wohl ähnliche Träume. Geplant waren Reisen nach Los Angeles, Orlando, Boston und in weitere Metropolen Amerikas.
Als Au Pair arbeitet und lebt Sofie für ein Jahr bei ihrer Gastfamilie auf Long Island, im Bundesstaat New York. Die Großstadt New York City liegt nur wenige Kilometer entfernt. Unter der Woche unterstützt sie ihre Gasteltern bei der Kinderbetreuung und leichter Hausarbeit. Ihre Gastkinder sind sechs und zehn Jahre, also im schulpflichtigen Alter. Viele Au Pairs nutzen die freie Zeit in den USA zum Reisen, Shoppen oder für gemeinsam Ausflüge mit neu gefundenen Freunden. So verbrachte auch Sofie die ersten Monate ihres Auslandsjahres. Als im Frühjahr 2020 das Corona-Virus ausgebrochen ist und sich besonders in New York stark verbreitet hat, veränderte sich ihr Alltag als Au Pair schlagartig.
In einem Interview mit mir berichtet Sofie über die Situation vor Ort, die aktuell größten Herausforderungen und weiteren Entwicklungen ihres Au Pair-Jahres.
Welche Corona- Beschränkungen und Empfehlungen gibt es denn aktuell bei dir vor Ort in New York?
Sofie: Genau wie in Deutschland müssen auch wir ca. 1,5 Meter Abstand halten. Eine feste Maskenpflicht gibt es nicht, aber man kann verwarnt werden, wenn keine Maske getragen wird. Im Gegensatz zu Deutschland ist die USA ca. zwei Wochen hinterher. Es haben aktuell also nur die systemrelevanten Läden auf. Es soll jetzt zwar langsam wieder losgehen, aber genaue Angaben zur Organisation gibt es noch nicht. Die Leute werden aber immer entspannter, im Gegensatz zu Mitte April, wo fast niemand das Haus verlassen hat.
Wie hat sich denn dein Tagesablauf als Au Pair geändert seit die Schulen geschlossen sind?
Sofie: Mein Tagesablauf hat sich extrem geändert. Normalerweise sind die Kinder von 9:00 – 15:30 Uhr in der Schule. In der Zwischenzeit erledige ich sonst immer ein paar Dinge im Haushalt und habe danach noch etwas Freizeit. Die Kinder sind jetzt natürlich Zuhause und ich verbringe den ganzen Tag mit ihnen. Mittlerweile haben die beiden zwei Mal am Tag 45 Minuten Online-Unterricht. Besonders die Sechsjährige braucht bei dem Bearbeiten ihrer Aufgaben viel Hilfe und ich schlüpfe in die Rolle des Lehrers. Nachmitttags versuche ich mit den Kindern in den Garten zu gehen, damit wir an der frischen Luft noch etwas spielen können. Ich gebe mein Bestes, den Corona-Alltag so abwechslungsreich wie möglich für die Kinder zu gestalten. Allgemein merkt man es ihnen jedoch sehr an, dass sie unter der Situation leiden.
Was sind aktuell denn die größten Herausforderungen für dich, sowohl auf die Arbeit mit den Kindern bezogen als auch für dich persönlich?
Sofie: Anfangs war es natürlich erstmal eine Herausforderung, dass es noch keinen Online-Unterricht gab. Von heute auf morgen sollte ich die Kinder plötzlich unterrichten. Vorher habe ich zwar mit ihnen Hausaufgaben gemacht, aber die jetzige Situation ist etwas ganz anderes. Die Kinder mussten sich ja auch erstmal daran gewöhnen, dass sie nicht mehr in die Schule gehen und nun alles mit mir Zuhause erarbeiten müssen. Mittlerweile funktioniert es aber ziemlich gut. Meine größte persönliche Herausforderung war, dass ich mir viele Gedanken über die Situation und die Entwicklungen Zuhause in Deutschland gemacht habe. Trotzdem wollte ich mein Auslandsjahr nicht abbrechen. Ich war einfach noch nicht bereit, diesen Schritt zu gehen und mit diesem Erlebnis abzuschließen. Außerdem braucht meine Gastfamilie mich aktuell sehr, da beide Elternteile noch arbeiten.
Welche Erkenntnisse nimmst du für dich aus deinem Auslandsjahr mit, die du ohne die Corona-Krise nicht gehabt hättest?
Sofie: Ich hätte am Anfang nicht gedacht, dass es so gut laufen wird, die Kinder größtenteils allein zu unterrichten. Mittlerweile macht es mir sogar richtig Spaß, mit den Kindern zusammen zu lernen und die Fortschritte in ihrem Lernprozess zu beobachten. An manchen Tagen ist es trotzdem schwer, in so einer besonderen Situation, allein in einem fremden Land zu sein. Glücklicherweise lebe ich aber bei einer tollen Gastfamilie. Ich wachse sehr an meinen neuen Aufgaben. Generell ist meine ganze Auslandserfahrung natürlich anders als erwartet. Ich nehme aber trotz dessen sehr viel für mich persönlich mit!
Und wie empfindest du es, so nah an New York City zu wohnen? Die Stadt ist ja sehr stark von dem Corona-Virus betroffen.
Sofie: Vieles habe ich auch nur durch die Nachrichte mitbekommen. Der Gedanke aber, dass sich diese schlimmen Bilder quasi vor der eigenen Haustür abspielen, ist jedoch sehr erschreckend. Angst habe ich zwar nicht, aber es beschäftigt mich sehr. Die meisten Menschen wissen, dass der Time Square oder der Central Park normalerweise voller Menschen sind. Wenn man aber vor kurzem selbst noch in der Masse zwischen den Leuten stand, ist das nochmal ein ganz anderes Gefühl. Besonders zu wissen, dass dort, wo ich neulich noch entlanggelaufen bin, Container für die Leichen der Corona-Toten standen, macht mich sehr betroffen. Normalerweise ist New York City eine schnelllebige und lebendige Stadt. Die Bilder der leeren Straßen zu sehen, war erschreckend.
In Amerika ist es ja nicht üblich, offen über politische Entscheidungen und Entwicklungen zu sprechen. Im Blick auf die aktuelle Situation, tauscht du dich mit deinen Gasteltern viel darüber aus?
Sofie: Genau so ist. Vorher haben wir nicht viel über politische Themen gesprochen. Das hat sich jetzt aber geändert. Wir sprechen viel darüber, was die Nachrichten berichten und auch wie realitätsnah die Berichtserstattung in den deutschen Medien ist. Meine Gasteltern stehen Trump sehr kritisch gegenüber. Daher sprechen wir viel über die Entwicklungen der Corona-Krise und auch über die aktuellen politischen Entscheidungen.
Vielen Dank für dieses Interview Sofie!