„Animalism“ – Ein Interview mit Frank Hoppmann
28. September 2019Von Anwesenheitspflicht und dem fettesten Feature des Jahres
29. September 2019Über meinen Freund Tammam
Heute habe ich mich mit Tammam getroffen. Es ist ein Mittwoch, da ist das eigentlich bei uns beiden an der Tagesordnung. Mittwochs findet bei uns an der Hochschule ein Tutorium statt, Tammam ist einer der Teilnehmer. Ich bin 17 Jahre jünger als er und seine Deutschtutorin. Ich glaube ich kann für uns beide sprechen, wenn ich sage, dass das am Anfang ein bisschen ungewohnt war. Neben Tammam sind noch viele andere Teilnehmer dabei, aber heute war es Tammam, der noch etwas länger geblieben ist. Er erzählt mir heute von ihm und von seiner Familie und auch ein bisschen darüber wie er nach Deutschland kam.
Tammam Alkhalaf ist 38 Jahre alt und kommt aus Deirrzor in Syrien. Seit drei Jahren ist er mit seiner Familie in Deutschland. Seine Familie, das sind seine Frau, seine beiden Kinder und er. Ich merke gleich, dass er unglaublich gerne von ihnen redet. Der Kleine ist jetzt sieben Jahre alt und geht in die erste Klasse auf einer Schule hier in Lingen. Der Große ist schon zwölf. Seine Frau ist Lehrerin, genau wie er auch; sie für Kunst und er für Informatik und Mathematik. Er sagt: „Wir versuchen hier miteinander ein neues Leben aufzubauen und dieses neue Leben hier kennenzulernen.“
Erstaunlich, ich habe Mathestudenten immer bewundert. Ich bin wirklich eine Null in Mathe. Ich frage Tammam, ob er sein bisschen mehr über seine Familie in Syrien erzählen kann. Eine Schwester lebe in der Türkei, die andere sei in Syrien geblieben. Eine sei gestorben. „Es ist gemischt“, meint er. „Die ganze mütterliche Seite der Familie in Syrien ist Lehrer, meine Schwester und auch mein Bruder. Ich erinnere mich, in meinem Heimatland rufen wir uns als `die Familie der Lehrer´“. Er lacht viel und ich auch. Die andere Seite der Familie, die Kinder seiner Tante, sind übrigens alles Ärzte; was denn auch sonst. Ich glaube ich habe noch nie eine so schlaue Familie kennengelernt. Da komme ich mir fast blöd dabei vor, ihm nächste Woche wieder etwas beizubringen, der kann ja alles!
Ich komme um die Frage nicht herum. „Tammam, wieso bist du mit deiner Familie nach Deutschland gekommen?“ „Es ist klar, wir haben in unserem Land Krieg. Darum sind wir mit der Familie nach Deutschland gekommen, um Sicherheit zu finden. In meinem Heimatland kann ich nicht weiter in meinem Beruf arbeiten, meine Kinder können nicht in die Schule gehen. Ich erinnere mich, als wir nach Deutschland gekommen sind, hat mein Sohn die erste Klasse übersprungen, jetzt sind sie hier sehr gut angekommen. Sie sprechen super deutsch, sie lernen als Kinder eben schneller als wir. Aber meine Frau und ich besuchen auch Intensiv-Kurse.“ Direkt muss ich wieder grinsen: eine Klasse übersprungen, noch so ein Wunderkind. Weiter frage ich nicht nach, darüber auf welchem Weg er herkam und was er alles erlebt hat. Das ist auch gar nicht wichtig. Tammam ist jetzt seit drei Jahren hier in Deutschland, ich sehe ihn einmal in der Woche. Für mich spricht er gutes Deutsch. Er hat mittlerweile das C1 Niveau und Ende des Monats seine mündliche Prüfung. Die ist wichtig für ihn. Immerhin möchte er wieder als Lehrer arbeiten. Dafür macht er momentan ein Praktikum an der Marienschule hier in Lingen. Dort könne er Erfahrungen sammeln und selbst viel an seine Schüler weiterzugeben. Genug erlebt hat er schließlich. Er erzählt mir von einem Projekt, das er dort zusammen mit seiner Frau und der AWO betreut. Kinder, die hier oder in anderen Ländern geboren sind, kommen zusammen und verbinden ihre Sprache mit Deutsch. „So können sie ihre Identität wahren und anderen Kindern näherbringen“, meint er. Zusammen mit seiner Frau hat Tammam einen festen Ausbildungsplatz als Erzieher an einer anderen Schule in Lingen bekommen; ab August können sie anfangen. Natürlich freut er sich sehr, aber sein Wunsch sei das noch nicht: „Herausforderung ist für uns natürlich noch die Sprache, aber ich strenge mich an und suche im Bereich des Lehrers weiter eine Stelle. Das wäre mein Wunsch- wieder als Lehrer zu arbeiten.“ Dafür fehlen ihm noch zwei Jahre Studium hier in Deutschland, obwohl er seit 13 Jahren Lehrer in Syrien war. Da kämen mehrere Probleme zusammen, auch Bafög würde er nicht bekommen, sollte er weiter studieren können. Darum sei die sozialpädagogische Ausbildung die bessere Option für ihn momentan. „Das Studium ist einfach zu teuer.“ Er würde gerne noch mehr Schritte nach vorne machen, für seine Familie sorgen können und arbeiten. Das wären seine Ziele. „Die Chance habe ich bisher noch nicht. Ich habe es natürlich auch anderer Arbeit versucht, aber es ist eben nicht das, was ich studiert habe. Auch der Mindestlohn ist da ein Problem, das reicht einfach nicht um meine Familie zu ernähren. Und in Deutschland brauche ich für ein gutes Leben eben ein Studium oder eine Ausbildung, ohne das gibt es weniger Chancen.“ Darum strengt er sich an. Darum macht er weiter Praktika und versucht sich etwas aufzubauen. Sein erster Wunsch ist einen Job zu finden und von der Sozialhilfe wegzukommen. Auch wenn das noch nicht geklappt hat, habe er bisher viele Erfahrungen gesammelt, auf die er sehr stolz sei. Ich frage ihn, ob er jemals zurück nach Syrien gehen wolle, wenn sich die politische Lage ändern würde. Seine Antwort hat mich zunächst verwundert. „Nein“, sagt er. „Wenn alles wieder in Ordnung wäre und ich hier eine Arbeit gefunden habe, dann kann ich immer wieder nach Syrien fliegen und meine Familie besuchen. Aber meine Kinder kennen meine Heimat nicht, ihre Freunde leben hier. Darum kann ich diese Entscheidung nicht alleine treffen. Aber ich könnte auch nie meine Familie in Syrien vergessen, das könnte ich einfach nicht machen.“ Natürlich nicht, denke ich. Soweit habe ich nicht gedacht. Ich bin 21 und treffe eigentlich jede Entscheidung für mich alleine und bisher war die größte davon, nach Lingen zu ziehen. Nicht aus einem fremden Land, nur aus einer fremden Stadt, die etwas mehr als 100km entfernt liegt. Mal wieder komme ich mir blöd vor. „Für meine Kinder bete ich für ein gutes Leben, anders als das von meiner Familie, ohne Krieg. Für sie wünsche ich mir Frieden. Hier gibt es Frieden, Freiheit und Sicherheit und das ist das Wichtigste.“ Also würde er hierbleiben und seine Heimat in den Ferien besuchen und seine Kinder mitnehmen. „Ich denke das ist ein guter Plan für meine Kinder und meine Frau und mich. So bleiben sie mit ihrer Identität und ihrer Heimat verbunden aber lernen auch die syrische Heimat kennen. Mit diesem Plan bin ich zufrieden.“ Wieder lächelt er. Tammam lächelt viel und oft und immer, wenn ich ihn sehe dann lächle ich auch. Ich freue mich schon auf nächsten Mittwoch und darauf, ihm diesen Text zu zeigen. Unser Thema momentan ist nämlich die indirekte Rede; mal gucken wie viel er hier drin findet. Nächsten Mittwoch lerne ich auch seinen Sohn kennen, sehr wahrscheinlich cleverer als ich.
Noch vor Monaten hätte ich nicht gedacht, dass ich einmal einen guten Freund haben werde, der fast doppelt so alt ist wie ich. Heute bin ich froh, dass es so ist. Und heute weiß ich auch, dass nicht ich Tammam mehr beibringe, sondern ich noch so viel von ihm lernen kann.
von Liv Wessel
Tammam Alkhalaf ist 38 Jahre alt und kommt aus Deirrzor in Syrien. Seit drei Jahren ist er mit seiner Familie in Deutschland. Seine Familie, das sind seine Frau, seine beiden Kinder und er. Ich merke gleich, dass er unglaublich gerne von ihnen redet. Der Kleine ist jetzt sieben Jahre alt und geht in die erste Klasse auf einer Schule hier in Lingen. Der Große ist schon zwölf. Seine Frau ist Lehrerin, genau wie er auch; sie für Kunst und er für Informatik und Mathematik. Er sagt: „Wir versuchen hier miteinander ein neues Leben aufzubauen und dieses neue Leben hier kennenzulernen.“
Erstaunlich, ich habe Mathestudenten immer bewundert. Ich bin wirklich eine Null in Mathe. Ich frage Tammam, ob er sein bisschen mehr über seine Familie in Syrien erzählen kann. Eine Schwester lebe in der Türkei, die andere sei in Syrien geblieben. Eine sei gestorben. „Es ist gemischt“, meint er. „Die ganze mütterliche Seite der Familie in Syrien ist Lehrer, meine Schwester und auch mein Bruder. Ich erinnere mich, in meinem Heimatland rufen wir uns als `die Familie der Lehrer´“. Er lacht viel und ich auch. Die andere Seite der Familie, die Kinder seiner Tante, sind übrigens alles Ärzte; was denn auch sonst. Ich glaube ich habe noch nie eine so schlaue Familie kennengelernt. Da komme ich mir fast blöd dabei vor, ihm nächste Woche wieder etwas beizubringen, der kann ja alles!
Ich komme um die Frage nicht herum. „Tammam, wieso bist du mit deiner Familie nach Deutschland gekommen?“ „Es ist klar, wir haben in unserem Land Krieg. Darum sind wir mit der Familie nach Deutschland gekommen, um Sicherheit zu finden. In meinem Heimatland kann ich nicht weiter in meinem Beruf arbeiten, meine Kinder können nicht in die Schule gehen. Ich erinnere mich, als wir nach Deutschland gekommen sind, hat mein Sohn die erste Klasse übersprungen, jetzt sind sie hier sehr gut angekommen. Sie sprechen super deutsch, sie lernen als Kinder eben schneller als wir. Aber meine Frau und ich besuchen auch Intensiv-Kurse.“ Direkt muss ich wieder grinsen: eine Klasse übersprungen, noch so ein Wunderkind. Weiter frage ich nicht nach, darüber auf welchem Weg er herkam und was er alles erlebt hat. Das ist auch gar nicht wichtig. Tammam ist jetzt seit drei Jahren hier in Deutschland, ich sehe ihn einmal in der Woche. Für mich spricht er gutes Deutsch. Er hat mittlerweile das C1 Niveau und Ende des Monats seine mündliche Prüfung. Die ist wichtig für ihn. Immerhin möchte er wieder als Lehrer arbeiten. Dafür macht er momentan ein Praktikum an der Marienschule hier in Lingen. Dort könne er Erfahrungen sammeln und selbst viel an seine Schüler weiterzugeben. Genug erlebt hat er schließlich. Er erzählt mir von einem Projekt, das er dort zusammen mit seiner Frau und der AWO betreut. Kinder, die hier oder in anderen Ländern geboren sind, kommen zusammen und verbinden ihre Sprache mit Deutsch. „So können sie ihre Identität wahren und anderen Kindern näherbringen“, meint er. Zusammen mit seiner Frau hat Tammam einen festen Ausbildungsplatz als Erzieher an einer anderen Schule in Lingen bekommen; ab August können sie anfangen. Natürlich freut er sich sehr, aber sein Wunsch sei das noch nicht: „Herausforderung ist für uns natürlich noch die Sprache, aber ich strenge mich an und suche im Bereich des Lehrers weiter eine Stelle. Das wäre mein Wunsch- wieder als Lehrer zu arbeiten.“ Dafür fehlen ihm noch zwei Jahre Studium hier in Deutschland, obwohl er seit 13 Jahren Lehrer in Syrien war. Da kämen mehrere Probleme zusammen, auch Bafög würde er nicht bekommen, sollte er weiter studieren können. Darum sei die sozialpädagogische Ausbildung die bessere Option für ihn momentan. „Das Studium ist einfach zu teuer.“ Er würde gerne noch mehr Schritte nach vorne machen, für seine Familie sorgen können und arbeiten. Das wären seine Ziele. „Die Chance habe ich bisher noch nicht. Ich habe es natürlich auch anderer Arbeit versucht, aber es ist eben nicht das, was ich studiert habe. Auch der Mindestlohn ist da ein Problem, das reicht einfach nicht um meine Familie zu ernähren. Und in Deutschland brauche ich für ein gutes Leben eben ein Studium oder eine Ausbildung, ohne das gibt es weniger Chancen.“ Darum strengt er sich an. Darum macht er weiter Praktika und versucht sich etwas aufzubauen. Sein erster Wunsch ist einen Job zu finden und von der Sozialhilfe wegzukommen. Auch wenn das noch nicht geklappt hat, habe er bisher viele Erfahrungen gesammelt, auf die er sehr stolz sei. Ich frage ihn, ob er jemals zurück nach Syrien gehen wolle, wenn sich die politische Lage ändern würde. Seine Antwort hat mich zunächst verwundert. „Nein“, sagt er. „Wenn alles wieder in Ordnung wäre und ich hier eine Arbeit gefunden habe, dann kann ich immer wieder nach Syrien fliegen und meine Familie besuchen. Aber meine Kinder kennen meine Heimat nicht, ihre Freunde leben hier. Darum kann ich diese Entscheidung nicht alleine treffen. Aber ich könnte auch nie meine Familie in Syrien vergessen, das könnte ich einfach nicht machen.“ Natürlich nicht, denke ich. Soweit habe ich nicht gedacht. Ich bin 21 und treffe eigentlich jede Entscheidung für mich alleine und bisher war die größte davon, nach Lingen zu ziehen. Nicht aus einem fremden Land, nur aus einer fremden Stadt, die etwas mehr als 100km entfernt liegt. Mal wieder komme ich mir blöd vor. „Für meine Kinder bete ich für ein gutes Leben, anders als das von meiner Familie, ohne Krieg. Für sie wünsche ich mir Frieden. Hier gibt es Frieden, Freiheit und Sicherheit und das ist das Wichtigste.“ Also würde er hierbleiben und seine Heimat in den Ferien besuchen und seine Kinder mitnehmen. „Ich denke das ist ein guter Plan für meine Kinder und meine Frau und mich. So bleiben sie mit ihrer Identität und ihrer Heimat verbunden aber lernen auch die syrische Heimat kennen. Mit diesem Plan bin ich zufrieden.“ Wieder lächelt er. Tammam lächelt viel und oft und immer, wenn ich ihn sehe dann lächle ich auch. Ich freue mich schon auf nächsten Mittwoch und darauf, ihm diesen Text zu zeigen. Unser Thema momentan ist nämlich die indirekte Rede; mal gucken wie viel er hier drin findet. Nächsten Mittwoch lerne ich auch seinen Sohn kennen, sehr wahrscheinlich cleverer als ich.
Noch vor Monaten hätte ich nicht gedacht, dass ich einmal einen guten Freund haben werde, der fast doppelt so alt ist wie ich. Heute bin ich froh, dass es so ist. Und heute weiß ich auch, dass nicht ich Tammam mehr beibringe, sondern ich noch so viel von ihm lernen kann.
von Liv Wessel