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Bevorzugt? Warum Schönheit im Alltag den Unterschied macht
„Schönheit ist das beste Empfehlungsschreiben.“ – Aristoteles
Schon Aristoteles beschäftigte sich mit dem Phänomen „Schönheit“. Hinter seinem Zitat steckt mehr als nur ein Schmunzeln.
Dahinter stecken der gesellschaftliche „Attraktivitätskonsens“, psychologische Prozesse und eine Vielzahl von Studien zur Wahrnehmung von „Schönheit“.
Der Begriff „Pretty Privilege“ (Schönheitsprivileg) hat bei Instagram 16,2 Tausend und bei TikTok sogar 52,9 Tausend Markierungen. Die Inhalte variieren dabei massiv! Während einige Creator davon berichten, wie sie durch ihr Glow-Up und ihren Schönheitsoperationen ihre Hässlichkeit überwunden haben, machen andere auf die negativen Folgen des „Pretty Privilege“ aufmerksam.
Negative Folgen?
Natürlich, für die anderen, für die „unschönen“? Was ist eigentlich schön? Das Sprichwort „Schönheit liegt im Auge des Betrachters“ legt nahe, dass Schönheit subjektiv sei. Dass dem nicht so ist, konnte inzwischen bewiesen werden.
Der Attraktivitätskonsens seit Aristoteles
Die Gesellschaft beurteilt Schönheit nach ähnlichen Maßstäben. Die Menschen sind sich einig, wann jemand schön ist, so Prof. Dr. Ulrich Rosar von der Heinrich Heine Universität Düsseldorf. Rosar ist Attraktivitätsforscher und hat bereits aussagekräftige Studien (zu Folgen von Pretty Privilege) auf dem Weg gebracht. Das Bild vom „schönen“ Menschen hat sich seit Aristoteles nicht verändert:
„Ein symmetrisches Gesicht, volle, kräftige Haare und weiße, ebenmäßige Zähne beispielsweise. Eine reine, strahlende Haut ist ebenso ein zeitloses Schönheitsmerkmal, genauso wie große Augen bei Frauen und ein markantes Kinn und Wangenknochen beim Mann.“
Es gibt also ein gesellschaftliches Schönheitsideal, sodass eine Person „normschön“ sein kann. Das bedeutet, dass jemand dem aktuellen Schönheitsideal entspricht.
Menschen, die nicht als normschön wahrgenommen werden, erleben in vielen Lebensbereichen Einschränkungen. Im Umkehrschluss müssten normschöne Menschen viele Vorteile haben.
Welche Vorteile das sind, haben neben Rosar auch die Wirtschaftswissenschaftlerin Eva M. Sierminska , die Neuropsychologin Judy Ho und die amerikanische „Asscociation for Psychological Science“ untersucht.
Bevorzugt durch Pretty Privilege
„Wir neigen alle intuitiv dazu, bei Menschen, die attraktiv sind, anzunehmen, dass sie auch positive Persönlichkeitseigenschaften haben.“, so Rosar. Dieses psychologische Phänomen nennt sich Halo-Effekt (Heiligenschein-Effekt). Die (angenommenen) positiven Eigenschaften überstrahlen dabei andere Aspekte der Person und wirken so auf die Gesamtwahrnehmung.
Dem Halo-Effekt und dem Pretty Privilege verdanken es normschöne Menschen, wenn sie:
- bereits im Kindergartenalter schneller Freundschaften schließen konnten
- sich in der Schule für gute Noten weniger anstrengen mussten. Denn gut aussehende SchülerInnen erschienen auf ihre KlassenkameradInnen und Lehrkräfte sozialer und leistungsfähiger.
- mehr Lob und Unterstützung erhalten haben.
- an der Universität mehr Aufmerksamkeit von Lehrenden und einen besseren Abschluss bekommen.
- mit höherer Wahrscheinlichkeit zum Bewerbungsgespräch eingeladen werden und einen Job bekommen.
- mehr Trinkgeld beim Kellnern bekommen.
- Chancen bekommen, um durch soziale Mobilität eine bessere Bildung und höhere Position zu besetzen.
- bessere Gehaltsangebote erhalten.
- vor Gericht geringere Strafen erhalten, denn „attraktiven Gangstern werden Verbrechen einfach nicht zugetraut“. Das geht soweit, dass mit der Attraktivität die Wahrscheinlichkeit für eine Todesstrafe sinkt.
Die Gesellschaft betrachtet daher normschöne Menschen also als erfolgreich, freundlich, gesund und vertrauenswürdig. In einer Langzeitstudie der Social Science Quartely konnte der Zusammenhang von Schönheit und sozialer Mobilität bestätigt werden.
Vor allem Männer scheinen in den untersuchten Kategorien „bessere Ausbildung“, „bessere Berufschancen“ und „höheres Einkommen“ von ihrer Attraktivität zu profitieren.
Benachteiligt ohne Normschönheit
Das Äquivalent des Halo-Effekts ist der Horn-Effekt (Teufelshörner-Effekt). So wie wir normschönen Menschen positive Eigenschaften zusprechen, nehmen wir an, dass „unattraktive Menschen negative Persönlichkeitseigenschaften haben.
Aus der vorherigen Liste sollte hervorgehen, wie viel schwerer nicht-normschöne Menschen für Erfolge arbeiten müssen. Der Begriff „Lookism“ hat sich als Gegenbegriff zum Pretty Privilege entwickelt und beschreibt die Diskriminierung aufgrund des Aussehens.
Dem Horn-Effekt und dem Lookism haben es nicht-normschöne Menschen zu verdanken, wenn:
- sie einen geringeren Selbstwert haben.
- sie Unsicherheit und psychischen Stress spüren.
- sie weniger Chancen in verschiedenen Lebensbereichen bekommen.
- sie mehr arbeiten müssen und ihre Errungenschaften weniger Wertschätzung erfahren.
- sie Ausgrenzung erfahren und in sozialen Gruppen weniger Anschluss finden.
- sich andere Menschen von ihnen bedroht fühlen.
- wenn ihnen sogar ein Verbrechen zugetraut wird. „ Oft ist von einer "Verbrechervisage" die Rede, wenn jemand Narben oder Tattoos im Gesicht hat oder aufgrund einer kantigen Gesichtsform oder eines unfreundlichen Gesichtsausdrucks bedrohlich wirkt.“
Menschen wurden in einem Experiment nach einer Personeneinschätzung gefragt. Ihnen wurden KI-generierte Bilder gezeigt, z. B. mit der Frage „Wer ist kriminell?“.
Dem schönen Serienmörder trauen wir das Verbrechen nicht zu, aber von dem unschuldigen tätowierten vernarbten Typen am Kiosk fühlen wir uns bedroht – die menschliche Psychologie ist doch ein Wahnsinn!
Das kann so weit gehen, dass Straftäter sogar verehrt werden. Mehr dazu könnt ihr hier erfahren.
Besonders leiden alte Menschen, Menschen mit einer Behinderung und einem geringen sozialen Status unter dem Lookism-Phänomen.
Die Folgen des Pretty Privilege
Laut Judy Ho, der taiwanesisch-amerikanischen Neuropsychologin, führt die Behandlung durch den Pretty Privilege dazu, dass Kinder kontaktfreudiger und selbstbewusster werden.
Sie haben ein gestärktes Selbstvertrauen und die Chance, weitere positive Fähigkeiten zu entwickeln.
Sind normschöne Menschen denn wirklich selbstbewusster?
Die Förderung bei Kindern scheint sich im Verlauf des Lebens zu ändern.
Die Verfügbarkeit von Gesichtsfiltern bei Social Media, den Einfluss von Content Creator und Trends wie „Clean Girl“ baut einen enormen Druck auf, den Schönheitsnormen zu entsprechen.
Und wenn das nicht natürlich funktioniert, dann gehen viele den Schritt der Schönheitsoperation – weltweit sind diese um 33 % im letzten Jahr gestiegen.
Schönheit ist nicht immer ein Vorteil
„There aint no such thing as free lunch.“
So viele Vorteile normschöne Menschen auch haben mögen, auch sie bezahlen einen Preis dafür. Mit den vermeintlich positiven Eigenschaften geht auch eine Erwartungshaltung der Mitmenschen einher. Normschönen Menschen werden eher Geschlechterstereotype zugeschrieben. Besonders Frauen, die als attraktiv wahrgenommen werden, sollen emotionaler, irrationaler und schwächer sein. Mit diesem Vorurteil haben Frauen gerade in männlich dominierten Berufen schwierige Voraussetzungen, laut Rosar.
Diese Frauen werden unter Umständen sexualisiert. Die Forscher Stephan Marson und Joanne Hessmiller haben in ihrem Werk „The dark side of being pretty“ Erfahrungsberichte von ehemaligen Gewinnerinnen von Schönheitswettbewerben veröffentlicht, die danach im Beruf tätig standen. Ihre Kompetenzen werden nicht ernst genommen. Zwischen Frauen untereinander können auch Neidgefühle entstehen, bis hin zur Unterstellung, „den Job nur wegen ihrer Attraktivität bekommen zu haben“.
Die Psychologin Eva Hasselmann erläutert, dass Personen nur wegen der Schönheit der Frauen Interesse zeigen, aber letztlich keine ernsthafte Beziehung wollen.
Es gibt auch das Skinny Privilege
Nicht nur normschöne Menschen kämpfen mit Vorurteilen. Auch Menschen, die ein höheres Körpergewicht haben oder zumindest nicht dem Norm-Gewicht entsprechen, erleben Diskriminierung.
Hier sind interessante Artikel zum Skinny Privilege:
Auch unser Autor Simon berichtet darüber in seinem Artikel zu Body Dysmorphia.
Wie können wir besser mit dem Pretty Privilege umgehen?
Auch wenn unsere Welt und unsere Social Media Bubbles bunter werden – und diese Buntheit auch sichtbar sein soll – scheint Diversität nur innerhalb der Grenzen von Schönheitsidealen bestehen zu dürfen. Menschen können sich nicht davon freisprechen, nach Schönheitsnormen zu beurteilen, aber wir können jede Persönlichkeit eines Menschen jenseits des Äußeren, respektieren und wertschätzen.
Dazu gehört auch, echte Kompetenzen zu sehen und anzuerkennen. Wenn es Beweise für Kompetenzen gibt, werden Menschen weniger objektifiziert, laut einer Studie von 2011. Menschen sollten also die Chance erhalten, Bildungsangebote wahrzunehmen, wichtige Positionen und Aufgaben zu erhalten, um Kompetenzen zeigen zu können – unabhängig von der Wahrnehmung ihres äußeren Erscheinungsbildes und was der Halo-Effekt oder der Pretty Privilege uns vorhalten.
Oft hilft schon das Wissen um die erwähnten psychologischen Effekte, sodass wir im Alltag bewusster mit anderen Menschen umgehen. In kleinen Begegnungen kannst du bewusst entscheiden, Menschen nicht als Straftäter oder als zu emotional oder Schönling abzutun, sondern echte Chancen zu geben.
Auch Wahlentscheidungen hängen davon ab, ob wir jemanden als schön wahrnehmen, dazu hat sich Rosar in einem neuen Artikel geäußert.