Solidarität in Corona-Zeiten
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6. April 2020Ein Bedingungsloses Grundeinkommen als soziale Antwort auf Corona?
„Hunderttausende fordern in der Corona Krise ein Bedingungsloses Grundeinkommen für alle, um den sozialen Absturz von Millionen Menschen zu verhindern.“ – Florian Diekmann
Das Virus hält aktuell die ganze Welt in Atem. Die Menschen leben zurückgezogen in ihren Häusern. Öffentliches Leben findet so gut wie nicht mehr statt. Geschlossene Schulen und Universitäten, verschobene Konzerte, verwaiste Spielplätze, Shoppingmalls und Restaurants. Jeden Tag verfolgt die ganze Welt gebannt die Zahlen der Neu-Infizierten. Eine rasant steigende Kurve und dazwischen kaum gute Nachrichten.
Dieser Zustand drängt viele in den sozialen Abgrund, weil sie in ihrer Existenz erheblich bedroht werden. Millionen Selbstständige, Künstler, Veranstalter, Studenten oder Rentner mit dringend benötigten Minijobs müssen um ihre Versorgung fürchten.
Aber wie sagt man so schön? Hinter jeder Krise verbirgt sich auch eine Chance. So mancher Deutscher sieht diese Chance für das Bedingungslose Grundeinkommen (kurz BGE).
Ein Konzept, das für einige Zeit in Europa in aller Munde war – und die wohl ehrgeizigste sozialpolitische Idee unserer Zeit ist. Ein fester Betrag, der jeden Monat auf deinem Konto landet und deine Existenz absichern soll – egal, ob du nebenbei arbeitest oder nicht. Was du daraus machst, ist ganz dir überlassen.
Aber kann das funktionieren? Die Meinungen hierzu reichen von „Dann will doch keiner mehr arbeiten und alles geht vor die Hunde!“ bis hin zu „Die Menschen könnten sich endlich verwirklichen und die Welt wäre eine bessere.“ Um diese weite Kluft zwischen den Oppositionen zu schließen, müsste man das mit dem BGE eben einfach mal testen und schauen, was sich daraus ergeben kann. Aber das wäre ja viel zu teuer und überhaupt, das hat noch niemand jemals versucht…
Oder?
Tatsächlich wurde vor 50 Jahren in Kanada bereits ein solches revolutionäres Sozialexperiment durchgeführt. In einer kleinen Stadt namens „Dauphin“ initiierte die kanadische Regierung 1974 den Versuch. Die Bürger der kleinen Stadt erhielten über einen gewissen Zeitraum Geld vom Staat – bedingungslos.
Die Ergebnisse des Experiments waren unglaublich vielversprechend. Jedoch verschwanden diese ohne jegliche Auswertung zwischen den Akten. Schuld daran war die große Ölkrise, die auch nicht spurlos an Kanada vorbeiging. So war die Regierung mit gewaltigen Herausforderungen zunächst anderweitig beschäftigt. Daher musste das sogenannte Dauphin-Experiment 1979 abrupt gestoppt werden. Die unzähligen Kartons voll mit Beobachtungen und wertvollen Forschungsunterlagen gerieten in Vergessenheit.
Erst 30 Jahre später, im Jahr 2009, fand die kanadische Professorin Evelyn Forget die Akten wieder und begann mit der Auswertung. Bereits 2011 veröffentlichte die Forscherin erste Ergebnisse.„Die Teilnehmer mussten seltener zum Arzt – vor allem die Besuche aufgrund psychischer Beschwerden gingen zurück. Außerdem entschieden sich mehr Teenager dafür, die 12. Klasse zu besuchen“, heißt es in der Studie.
In der kanadischen Kleinstadt gingen die Krankenhausaufenthalte um 8,5% zurück und auch die Scheidungsraten sanken. Das Gefühl der Sicherheit hatte also anscheinend entscheidend zum körperlichen und seelischen Wohlbefinden der Teilnehmer beigetragen. Ganz nebenbei senkten sich so auch die Kosten des Gesundheitssystemes.
Auch der Arbeitsmarkt brach nicht zusammen, wie Kritiker und Gegner des BGE befürchten. „Im Gegenteil: Das umfangreiche Datenmaterial zeigt, dass einige der Testpersonen Geld in Anschaffungen wie Autos oder Schreibmaschinen steckten, die ihre Wettbewerbsfähigkeit auf dem freien Markt erhöhten und damit wiederum den Einzelhandel in der Stadt stärkten.“
So löste das Experiment eine Lawine aus, welche über den Kern der Teilnehmer weit hinausrollte: „Aufgrund eines sozialen Multiplikators erhöhte sich die Zahl der erfolgreichen Schulabschlüsse in ganz Dauphin“, schreibt Forget in ihrer Studie.
Auch hier in Europa wagte man sich schon an ein solches Experiment heran. Im Jahr 2017 startete Finnland den Versuch: 2000 zufällig ausgewählte Arbeitslose sollten über zwei Jahre hinweg ein Grundeinkommen von 560€ bekommen. Die finnische Regierung erhoffte sich, dass eine Mehrzahl der Teilnehmer mit der Sicherheit des Grundeinkommens dazu angeregt werde, auch mal befristete oder schlechter bezahlte Jobs anzunehmen.
Um das Projekt bewerten zu können, hat man das Verhalten der Testpersonen mit dem normaler Arbeitslosengeld-Empfänger verglichen.
Leider konnte das Experiment nicht beendet werden und lief im Jahr 2018 bereits wieder aus. Man hätte mehr Geld und mehr Forschungszeit gebraucht, um klare Ergebnisse liefern zu können. Dennoch konnte man in der kurzen Zeit feststellen, dass die Testpersonen glücklicher und vor allem auch gesünder waren als zuvor.
Die Ergebnisse haben die finnische Regierung allerdings nicht überzeugen können. Das führte letztendlich dazu, dass diese das Konzept des Bedingungslosen Grundeinkommens in Finnland wieder über Bord warfen.
Ein fester, regelmäßiger Betrag, der verhindert, dass man unter die Armutsgrenze rutscht – zumindest bis die Epidemie überstanden ist. Genau das fordern viele Deutsche aktuell. Was sie antreibt ist die berechtigte Angst, die Corona Krise finanziell nicht zu überstehen.
Nach all den Versuchen und Überlegungen gibt es immer noch keine klare Antwort auf die Frage, ob das BGE eine gute Idee ist und ob es finanziell umsetzbar wäre.
Man weiß nur: Für eine dauerhafte, bedingungslose und flächendeckende Finanzierung gibt es bislang kein tragbares Modell. Dazu müsse man noch deutlich mehr forschen und mehr Versuche durchführen.
Was man aber mit Sicherheit sagen kann, ist:
Das Potenzial ist gigantisch und das BGE könnte das vielversprechendste Modell im Kampf gegen die Armut werden. Es würde für weniger Leid sorgen, vielen Menschen eine große Last von den Schultern nehmen. Es könnte Existenzängste eines großen Teils der Gesellschaft bekämpfen und, wer weiß…
…vielleicht stößt die Corona Krise bei so manchem Politiker diesen Denkprozess erneut an und das Konzept muss nicht wieder in den Akten verschwinden.