Spielhallen, grelle Leuchtreklamen und Online-Casino-Werbung sind längst Teil der deutschen Normalität. Was für manche wie ein harmloser Nervenkitzel wirkt, ist für viele der Weg zur Armut und zu existenziellen Sorgen: Drei Millionen Menschen in Deutschland haben ein problematisches Glücksspielverhalten. Davon leiden 1,3 Millionen Menschen an einer Glücksspielstörung. Dazu gehört auch Anton, 25, der von dieser Spielsucht betroffen ist.
Hinweis: Name und Alter der interviewten Person wurden aus Gründen der Anonymität verändert.

Wir haben mit Anton gesprochen und ehrliche, reflektierte Einblicke in ein Leben erhalten, das vom Glücksspiel geprägt wurde:
Welche Formen von Glücksspiel hast du in deinem Leben betrieben?
„Ich war sehr spielsüchtig und habe die Spielotheken aufgesucht, und in letzter Zeit auch mit dem Online-Glücksspiel angefangen.“
Wann hast du zum ersten Mal begonnen zu spielen, und wie hat es sich entwickelt?
„Das Spielen war in meinem Leben durch familiäre Umstände schon immer präsent. Dadurch war es bei mir durchgehend Thema und war ständig im Hinterkopf. Ich selbst spiele seit meinem 18. Lebensjahr. Es hat sogar ein bisschen früher angefangen, indem ich bereits bei anderen über die Schulter gucken konnte. Am Anfang ging es noch darum, den gemeinsamen Kick mit seinen Freunden zu erleben. Dann hat es sich allerdings so entwickelt, dass ich schnell damit anfing, auch allein Spielotheken die aufzusuchen.“
Was hat dir das Spielen am Anfang gegeben?
„Es geht ja immer ums Geld. Man will aus wenig mehr machen. Das klappt vielleicht mal, aber es gibt das passende Sprichwort: Die Bank gewinnt immer. Das kann ich mir eigentlich tätowieren lassen. Trotzdem geht es immer ums Gewinnen: Das Ringeln, das Klimpern der Münzen.
Oft ging es auch darum, ein gewisses Loch zu stopfen. Ich konnte die Themen, die mir durch den Kopf gingen, dort besser verarbeiten. Es wurde zu einem Fluchtort. Zudem gibt es natürlich immer diesen typischen Kick, den man dort findet. Es hat mir diese krasse Ausschüttung des Dopamins im Gehirn gegeben, die mir irgendwo Sicherheit gab. Man fühlt sich mit seinen Problemen nicht allein. Die wenigen Worte, die man mit den anderen Spielenden wechselt, reichen schon dafür aus.“
Die Bank gewinnt immer. Welche Auswirkungen hatte die Spielsucht auf deine finanzielle Situation?

„Am Anfang hat man noch irgendwo die Kontrolle. Erst geht man mit 50 Euro los, dann doch mal mit 100. Gerade am Anfang erhöht man die Einsätze schnell. Finanzielle Engpässe kamen dadurch sehr schnell. Es hat irgendwann damit angefangen, jedes mögliche Geld zum Zocken haben zu wollen. Ich habe Schmerzensgelder verzockt, eigene Sparbücher angegriffen und leergemacht. Die schlimmen Sachen habe ich aber nie gemacht. Ich habe schon andere Geschichten gehört – so weit bin ich nie gegangen, aber die Wege zum Schlimmeren sind nie weit.“
Gab es Momente, in denen mögliche Armut oder existenzielle Sorgen die Spielsucht verschlimmert haben?
„Ich wurde von Familienangehörigen lange durchgefüttert; deshalb habe ich nie eine Ausbildung beendet. Es war wie ein Paradiesleben, aus dem ich nicht fallengelassen wurde, bis ich selbst den Weg gesucht habe und von zuhause weggezogen bin. Das hat mir dann auch zur Besserung geholfen.“
Hatte die Spielsucht Auswirkungen auf deine Beziehungen zu Freund*innen oder Familie?
„Auch wenn ich ehrlich meinen Engsten gegenüber war, ging es dennoch so weit, das Freundschaften verloren gingen. Die wussten auch nicht, wie sie damit umgehen sollen. Auch wegen sowas geht man dann wieder rein. Man muss mit diesem Frust spielen und versuchen mit dem Jackpot glücklich nach Hause zu gehen. Und wenn dann auch der letzte Cent umgedreht war, isoliert man sich, und verschwindet in der digitalen Welt. Dort ist dann doch wieder alles glücklich.“
Gibt es bestimmte Auslöser oder Situationen, die dich besonders anfällig fürs Spielen gemacht haben?
„Ich war die letzten zweieinhalb Jahre, nach meinem Umzug, frei vom Glücksspiel. Als ich meine Ausbildung bestanden habe, kam es doch wieder dazu. Ich wollte mich mit dem Zocken belohnen. Ich habe wieder alles auf eine Karte gesetzt und bin wieder ins eiskalte Wasser gefallen. Ich habe mein gesamtes Angespartes aus der suchtfreien Zeit verzockt. So viel Geld in so kurzer Zeit war es bei mir noch nie. Das passierte dann auch in Verbindung zum Online-Glücksspiel, mit dem ich anfing. Das geht alles so schnell und führt schnell zum Rückfall. Dieses gestörte Belohnungssystem war bei mir nie ganz geheilt.“
Hast du versucht, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen? Wenn ja: Wie hat es dir geholfen?
„Ich führte früher schon Beratungsgespräche. Diese sollten sich in einen ambulanten Kontakt entwickeln, auf den ich aber nie eingegangen bin. Ich habe immer den Rückzieher gemacht. Ich war zwar immer ehrlich, bin aber irgendwann nicht mehr zu den Gesprächen aufgetaucht.
Jetzt läuft es anders. Es wurden jetzt schon in wenigen Wochen sieben Beratungsgespräche geführt. Es hat mit einer einfachen Vorstellung angefangen und baut sich langsam weiter auf, sodass ich jetzt auch auf eine mindestens zehn-wöchige stationäre Suchttherapie einwilligte. Darauf bereiten wir uns jetzt vor. Dort habe ich dann Psychologen und Betreuer, die einem die Rehabilitation ins Berufsleben ermöglichen wollen.“
Gab es einen bestimmten Moment, in dem dir klar wurde: „So geht es nicht weiter“?
„Ich habe gemerkt, dass ich alles, was ich mir in den letzten zweieinhalb Jahren angespart habe, alles wieder verspielt habe. Ich gehe immer ans Extreme, das ist mein Problem. Ich habe wieder das Glück herausgefordert. Der ausschlaggebende Punkt waren auch die Personen, mit denen ich in meinem Umfeld darüber reden konnte. Ich konnte einen guten Eindruck von mir selbst gewinnen. Man steckt in einem Loch mit depressiven Episoden. Doch das hilft einem dabei, sich wiederzufinden und auch wiederzuerkennen. Das ist genau das, was bei dieser Sucht verloren geht. Man hat sich nur in diese dunklen Räume gesetzt – tolle Musik spielt im Hintergrund, die Leute sind immer nett. Die Mitarbeiter werden genau darauf trainiert. Die wissen genau, mit solchen Vollidioten, die da reinlaufen, umzugehen. Das ist echt gefährlich. Glücksspiel ist echt gefährlich.
Ich bin dann den Schritt gegangen und habe mich für zehn Jahre sperren lassen.“
(Einschub: Eine Selbstsperre bedeutet, dass sich Betroffene für einen festgelegten Zeitraum vom Spielbetrieb ausschließen lassen – sowohl online als auch in vielen Glücksspielstätten. Während dieser Sperre dürfen Anbieter die Person nicht zum Spielen zulassen. Ziel ist es, sich vor weiterem finanziellen und psychischen Schaden zu schützen und Abstand vom Glücksspiel zu gewinnen.)
Gibt es etwas, das du anderen Menschen in ähnlicher Lage mitgeben möchtest?
„Es gibt natürlich Hilfe. Und die Hilfe soll man annehmen. Das ist das A und O.
Die Berater sind darauf geschult, die Menschen mit ihren Schwierigkeiten zu verstehen.
Man muss frühzeitig die Worte, die andere von außen sagen, ernst nehmen und sich den Weg zur Hilfe suchen. Auch wenn es erst mal nur ein Gespräch ist, und man sich einer neutralen Person gegenüber öffnet. Es ist auch alles freiwillig, aber die wollen einem nur helfen. Dafür haben sie die richtigen Worte. Das ist ganz wichtig.“
Antons Geschichte ist eine von vielen. Wenn wir über Armut sprechen, dürfen wir die gesellschaftlichen Schattenseiten der Spielsucht nicht ausblenden. Anton will sich von seiner Spielsucht nicht zerstören lassen – er hat Hilfe angenommen, geht in Therapie und möchte sein Leben neu aufbauen. Doch neben seiner gibt es unzählige weitere Geschichten von Menschen in unserem Umfeld – manche davon noch ohne einen Ausgang.
In Antons Erfahrungen liegen enorme Kraft und große Hoffnung. Sie zeigen uns, wie Verständnis und Unterstützung aus einer dunklen Spirale einen Neuanfang entstehen lassen können.
Wenn auch du mit Spielsucht zu kämpfen hast: Es gibt Hilfe. Sprich offen mit den Menschen in deinem Umfeld und melde dich ggf. an Experten, wie dem Kreuzbund oder der kostenfreien Telefonberatung zur Glücksspielsucht: 0800 1 37 27 00



