Kaiserschmarren, Kühe, Klausur: Substantive, die meine zweiwöchige Tirolerfahrung perfekt umschreiben. „WieL unterwegs“ residiert heute in Reith im Alpbachtal: ein 3000-Seelendorf mit mehr Kühen als Einwohner:innen, Badesee, schöner Aussicht, herzlichem Dialekt und gastronomisch präzise aufs Minimum reduziert. Zusammengefasst: eine österreichische Version von Lingen im Miniaturformat, die den Ausklang einer stressigen Abgabe-Klausuren-Episode nicht besser umrahmen könnte. Im Folgenden werden meine Erkenntnisse, dass Tirol mehr zu bieten hat als DJ Ötzi und Anton mit den „gigaschlanken Wadln“ (dieser Song sollte beim Lesen unbedingt als unterstützende Hintergrundgeräuschkulisse rezipiert werden) präsentiert.
Der erste Akt nach acht Stunden stress- und schweißgeprägter Anfahrt war buchstäblich ein Sprung ins kalte Wasser. Der Reither See hieß mich mit seiner petrolfarbenen Unergründlichkeit willkommen. Für einen bruchteiligen, sprungbrettgefederten Moment fühlte ich mich so frei wie schon lange nicht mehr- ein Startschuss für den Sommer. Rasch voranschreitenden Lockerungen und sonnige Lichtblicke am Ende des Tunnels konstituierten die letzten Wochen eine immer zuversichtlicher werdende Pandemiepointe. Die einsamen und einschichtigen Wintermonate wurden Schicht für Schicht von ihrer alltäglichen Trübheit gelöst. Endlich stellte sich ein Gefühl von „Leben“ ein. Ehrlich gesagt waren diese pathetischen Gefühle beim Sprung ins Blaue weniger meine Gedanken als „Aua“, denn etliche meiner selbstbewussten Kopfsprungversuche mündeten in deplatzierten Bauchklatschern.
Klausur with a view: umgeben von sonnenbedeckten Gipfelwipfeln und dialektreichen Scherzen trat ich meine OpenBook-Klausur im Modul „Arbeitsfelder des Kommunikationsmanagements“ dieses Jahr in Tirol an. In Abstimmung mit Prof. Schwägerl bewertete ich diese Kopplung von Arbeit und Urlaub zu Beginn als sehr gelungen. Lediglich die stark voneinander abweichenden Erzählungen am alltäglichen Abendbrottisch dämpften meine Euphorie. Während sich meine Familie in Badespaß und Abenteuer stürzte, verbrachte ich meine Tage mit Stakeholder-Management, Wertschöpfungsketten und Personalmarketing. Nichtsdestotrotz gestaltete die Attraktivität meiner Aussicht den Lernprozess sehr angenehm. Am fünften Urlaubstag konnte ich die Klausurenphase dank viel Lernfleiß und noch mehr Rotwein offiziell als „abgehakt“ betrachten. Was nach einem ausgeprägtem Briefmarken-Dilemma im Tourismus-Center bleibt, sind zeitliche Zweifel an der österreichischen Post, mit deren Hilfe die Klausur innerhalb von einer Woche auf Prof. Schwägerls Schreibtisch landen sollte. Bis heute fürchte ich, dass sie noch immer mutterseelenallein im Reither Briefkasten schlummert.
Wie sich herausstellte, trugen die emsigen Quarantäne-Spaziergänge als Flucht vor dem Homeoffice weniger zu meiner Fitness bei, als erhofft. Diese peinigende Erkenntnis traf mich morgens um 10 Uhr auf einer Höhe von 1600 Metern und Blick auf die Wolken unter uns. Eine weitere Erkenntnis erschloss sich durch die mangelnde Notwendigkeit von professionellen Wanderschuhen. Den übrigen, perfekt eingekleideten Familienmitgliedern drohte beim Anblick meiner pinken Turnschuhe aus der neunten Klasse eine kleine Krise („Du bist ja erwachsen, aber…“). Allen Erwartungen zuwider haben meine treuen Treter mich immer unfallfrei ans Ziel begleitet.
Das Dasein als Real-Life-Heidi intensivierte sich auf dem Weg zum Wiedersbergerhorn und Zireiner See mit jedem Kilometer. Fünfzehntausend Schritte und fünfzehntausend Blumenwiesen später war die Erschöpfung groß und die Motivation für den Rückweg verschwindend gering. Trotz anschließendem Mimimi und übermäßigem Blasenpflasterkonsum dominierte die Begeisterung über Österreichs Naturgewalten. Hunderte von Metern über dem Erdboden, mitten in den Bergen ist das Leben in seiner Vegetationsvielfalt so fern von jeglicher Zivilisation und das tut einfach gut. Selten habe ich so viele Insekten, Blumen und unberührte Landschaften gesehen, wie auf unseren Wanderungen. Einatmen, Ausatmen, Auftanken!
Zivilisation sowie ein Kontrastprogramm fanden wir in Innsbruck, wo Idylle, Ruhe und Lesen für einen Tag gegen Sightseeing, Eisessen und Einkaufen eingetauscht wurden. Als Studierendenstadt und größte Stadt von Tirol begeisterte sie uns nachhaltig mit facettenreicher Architektur sowie vorzüglichem Essen. Eventuell habe ich hier die leckerste Pizza meine Lebens einverleibt, eventuell überwog auch einfach die Mittagsgier. Falls es jemanden einmal nach Innsbruck verschlagen sollte: probiert die „Pizza Amore“ (ohne Speck) in der „Farina Pizzabar“ (unbezahlte Werbung, dafür von Herzen) und lasst euch nicht von ihrem Aussehen abschrecken. Wahre Schönheit kommt bekanntlich von innen!
Nach zwei Wochen Lesen, Lernen, Sonnen, Schwitzen, Baden, Bummeln, Wandern, Wiesen, Kühen, Kaffeetrinken, Aufatmen und Auftanken ein Fazit. Tirol, hier fühl ich mich wohl (auch, wenn von Antons gigaschlanken Wadln leider jegliche Spur fehlte).
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