Es sind nur Haare, oder nicht?
21. November 2024Body Dysmorphia: Wie Social Media unsere Selbstwahrnehmung verändert
26. November 2024Junge Menschen und Schönheitseingriffe: Ursachen und Folgen
Angst vor dem Altern: Ein neues Phänomen unter jungen Menschen?
Obwohl Studierende sich überwiegend in einem Alter befinden, in dem man sich scheinbar keine Sorgen um das Altern macht, zeichnen soziale Medien ein anderes Bild. Junge Menschen, vor allem im Alter von Anfang zwanzig, suchen zunehmend Dermatologen auf, um sogenanntes „Baby-Botox“ zu erhalten. Dabei wird eine geringe Menge des Nervengifts Botulinumtoxin injiziert, um ersten Fältchen vorzubeugen. In den sozialen Netzwerken sind amerikanische plastische Chirurgen mittlerweile Instagram-Stars, während Prominente immer häufiger öffentlich zu ihren Schönheitseingriffen stehen. Diese Entwicklung wirft Fragen auf: Werden ästhetische Eingriffe zunehmend verharmlost? Und was steckt hinter dem Boom der Beauty-Industrie?
Die Angst vor dem Altern als gesellschaftliches Konstrukt
In einem Artikel des Deutschlandfunks aus dem Jahr 2012 heißt es „[…] in der auf Leistung und äußere Perfektion getrimmten Gesellschaft gelten jugendliche, makellose Körper als ästhetisches Ideal“ und diese Feststellung scheint seither nichts von ihrem Wahrheitsgehalt eingebüßt zu haben. An anderer Stelle heißt es „Jugend- und Gesundheitskult, Schönheitswahn und übertriebener Lebenshunger verraten die Angst der Gesellschaft vor dem Tod“. Zudem sorgt sich laut einer Studie des Markt- und Meinungsforschungsinstituts Ipsos jeder zweite Deutsche vor dem Älterwerden. Andreas Stückler wirft in seinem Buch „Kritische Theorie des Alter(n)s“ die Frage auf, ob im Kapitalismus die Altersdiskriminierung auf die Spitze getrieben werden würde. Seiner Auffassung nach geht der Fokus auf die Leistungsfähigkeit von Menschen mit einer gewissen Abwertung einher, sobald diese augenscheinlich nicht mehr leistungsfähig sind (Stichwort Ruhestand). Seiner Meinung nach lebt die Anti-Aging-Industrie davon, das Altern per se abzulehnen. Ist die Angst vor dem Altern also unvermeidlich in unserer Leistungsgesellschaft?
Zunehmende Nachfrage nach kosmetischen Eingriffen
Alexander Hilpert, plastischer Chirurg mit 30 Jahren Erfahrung, berichtet von einem wachsenden Drang junger Menschen, makellos auszusehen. Dieses Phänomen betrifft längst nicht nur Frauen. Ein 16-jähriger Junge, der sich seinen Kiefer nach dem Vorbild eines Influencers operieren lassen wollte, führte Hilpert den starken Einfluss sozialer Medien drastisch vor Augen. Dabei steht Hilpert mit seiner Wahrnehmung nicht allein da. Die Deutsche Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGÄPC) verzeichnet im Jahr 2019 mit 87 Prozent einen neuen Höchstwert bei den ästhetischen Eingriffen. Besonders beliebt waren Faltenunterspritzungen, die insgesamt fast 40 Prozent der Behandlungen ausmachten. Das ZDF fand im Rahmen einer Befragung von 25- bis 34-Jährigen heraus, dass 42 Prozent offen für Schönheitseingriffe sind.
Der Einfluss sozialer Medien auf Schönheitsoperationen
Social Media spielt eine entscheidende Rolle bei der Popularität kosmetischer Eingriffe. Vierzehn Prozent der befragten Patienten geben an, dass Selfies ihre Entscheidung beeinflusst haben, und 10,8 Prozent nutzen Plattformen wie Instagram zur Informationssuche. Junge Menschen stehen zunehmend unter dem Druck, einem bestimmten Schönheitsideal zu entsprechen. Gleichzeitig regen sich immer wieder kritische Stimmen, wenn Personen des öffentlichen Lebens Schönheitseingriffe vornehmen lassen.
Beispielsweise unterzog sich Sophie Passmann, Autorin und Moderatorin, kürzlich einer Lippenaufspritzung, was für viele ihrer Fans nicht konform ging mit ihrem Image als Feministin und zu viel Kritik an ihrer Person geführt hat.
Auch Männer spüren diesen Druck: Schauspieler Zac Efron sorgte unlängst für Aufsehen, als sein Gesicht nach einem Unfall operiert werden musste, der ihn laut eigenen Angaben fast das Leben gekostet habe. In den sozialen Medien kursierten danach Fotos und Videos mit der Frage „Was ist mit seinem Gesicht passiert?“.
Unterschiedliche Wahrnehmung des Alterns zwischen den Geschlechtern
Bereits im Jahr 1972 thematisierte Susan Sontag in ihrem Essay „The Double Standard of Aging“, dass Männer ungestört altern dürften, während Frauen dafür stark kritisiert werden. Der Spruch „Frauen altern wie Milch, Männer wie Wein“, der in diesem Zusammenhang häufig fällt, verdeutlicht dieses Vorurteil. Frauen stehen doppelt so häufig unter Druck, Schönheitsidealen zu entsprechen, wie eine Umfrage des MDR zu diesem Thema zeigt. Insgesamt fühlte sich rund ein Viertel der männlichen, als auch der weiblichen Befragten von den geltenden Schönheitsidealen unter Druck gesetzt. So berichtet eine MDR-Befragte beispielsweise, den Eindruck zu haben, aufgrund ihres Gewichts abschätzige Blicke zu ernten. Die Ursache dieser vermeintlich abschätzenden Wahrnehmung sieht sie in der Tatsache begründet, dass sie einem bestimmten gesellschaftlichen Ideal nicht entspreche.
Schönheitseingriffe als Akt der Selbstbestimmung?
In der aktuellen Debatte wird oft gefragt, ob die Verfügbarkeit kosmetischer Eingriffe eine „Demokratisierung von Schönheit“ darstellt. Feministinnen wie Sophie Passmann sehen darin eine Möglichkeit, mit gesellschaftlichen Normen umzugehen, während andere dies als Ausdruck patriarchaler Zwänge betrachten. Der Wunsch, durch Eingriffe das eigene Erscheinungsbild zu verändern, kann somit auch als ein emanzipatorischer Akt verstanden werden. Philosophinnen und Philosophen wie Kathryn P. Morgan kritisieren Schönheitsoperationen als Form der Unterwerfung von Frauen. Gleichzeitig kritisiert Model Emily Ratajkowski, dass Frauen sowohl für ihren natürlichen Körper als auch für Schönheitseingriffe verurteilt werden.
Das Streben nach Schönheit: nachvollziehbar?
Schönheitseingriffe sind komplex und grundsätzlich nicht zu verurteilen. Werden Sie mit der entsprechenden Fachkompetenz durchgeführt, sind Risiken eher selten. Darüber hinaus belegen zahlreiche Studien, dass attraktive Menschen gesellschaftlich gesehen durchaus besser behandelt werden. Erkenntnisse wie diese können dazu beitragen, zu erklären, warum der Wunsch, schön zu sein, derart stark in unserer Gesellschaft verankert ist.
Psychologin Ada Borkenhagen gibt zu bedenken „Schönheit zahlt sich aus“ Sie betont „Wer attraktiv ist, hat in der Schule bessere Noten und im Berufsleben ein besseres Einkommen.“ Schöne Personen bekämen vor Gericht sogar mildere Strafen. Eine eskalierende Form der Selbstoptimierung stellt die „Longevity“ Bewegung dar, die teils skurrile Maßnahmen als Schlüssel zur ewigen Jugend anpreist.
Gegenbewegungen auf Social Media: Für mehr Akzeptanz
Auch wenn Social-Media Erhebungen zufolge durchaus zur Beliebtheit von Schönheitseingriffen beiträgt, gibt es Gegenbewegungen, die sich bewusst für Akzeptanz einsetzen – der eigenen Person, aber auch anderen Menschen gegenüber.
Ein Beispiel hierfür bildet das Format „Unshame“ von Content Creatorin Louisa Dellert auf Instagram. In diesem Format thematisiert sie in Kurzvideos unrealistische Schönheitsideale, die Kommerzialisierung von Selbstoptimierung und Normen, die diskriminierend sind. Die Influencerin hat in der Vergangenheit selbst mit Bodyshaming Erfahrungen gemacht.
Das Format hat zahlreiche Zuschauer, die Influencerin eine Reichweite von rund 546.000 Followern. In einem kürzlich erschienen Video ruft sie dazu auf, das Aussehen anderer Frauen nicht ungefragt zu kommentieren. Auslöser waren Kommentare unter dem Trailer des neuen Films „Baby Girl“, in dem Nicole Kidman mitspielt. Kidman, die in der Vergangenheit für ihre Arbeit zahlreiche Auszeichnungen (unter anderem einen Oscar als beste Hauptdarstellerin) erhielt, immer wieder Ziel negativer Kommentare über ihre Schönheitseingriffe – so auch in der Kommentarspalte zu ihrem neuen Film.
Fazit: Freiheit zur Selbstbestimmung und kritische Reflexion
Jeder Mensch sollte die Freiheit haben, seinen Körper nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Doch es ist auch wichtig, die gesellschaftlichen Einflüsse und Normen kritisch zu hinterfragen. Schönheitseingriffe können ein Ausdruck von Selbstbestimmung sein, stehen jedoch oft in einem Spannungsfeld zwischen individueller Freiheit und gesellschaftlichen Erwartungen. Formate wie „Unshame“ bieten eine wertvolle Plattform, um eigene Glaubenssätze zu reflektieren und sich von äußeren Zwängen zu lösen.
Letztlich bleibt die Frage, warum das Streben nach äußerer Jugend so stark im Vordergrund steht, wenn es doch viele andere Wege gibt, jung zu bleiben – sei es durch geistige Fitness, Beweglichkeit oder eine kindliche Offenheit für die Welt. Ein Dialog über diese Themen kann helfen, das Verständnis füreinander zu fördern und die Vielfalt der individuellen Entscheidungen zu respektieren. Denn eins ist sicher: Es braucht weniger Menschen, die anderen vorschreiben, wie sie auszusehen haben, und mehr Raum und Akzeptanz für individuelle Entscheidungen.