Alle sind auf LinkedIn – Die vermeintliche Notwendigkeit einer Personal Brand

Während man aus Datenschutz und Privatsphäre einem Fremden nicht einmal den eigenen Nachnamen verraten würde, streitet man öffentlich mit der Menschheit um seine beruflichen und sozialen Qualifikationen. Durch das Aufrüsten der Personal Brand anderer fühlt man sich gedrängt, in den Wettbewerb einzusteigen. Sonst zwingt man sich zum Verlust eines wertvollen Assets für die Jobsuche und den Netzwerkaufbau. In diesem Artikel werden sowohl die Entstehung der Personal Brand als auch dessen Folgen thematisiert.

Die Entstehung der Personal Brand

Die Personal Brand ist tatsächlich kein zeitbefristetes „Phänomen“. Jeder Mensch besaß und besitzt eine Personal Brand, nur war sie in unterschiedlichen Zeitaltern unterschiedlich wichtig. Selbst wenn man seine Personal Brand nicht aktiv führt, macht genau das diese aus. In der Steinzeit wurde sie aufgebaut durch die Beobachtungen oder Erzählungen von eigenen Errungenschaften oder Fehltritten. Man wusste, wer besonders gut mit dem Speer, wer mit dem Bogen umgehen konnte und wer die Nahrung am sparsamsten auseinandernahm und verarbeitete. Damals war es lebensnotwendig über die Stärken und Schwächen der anderen zu wissen. Später wurde die Personal Brand auf die berufliche Nische konzentriert.

Wie so viele Erfindungen auch, brachte tatsächlich Leonardo da Vinci das erste Anschreiben und damit die Anfänge der intentional geführten Personal Brand hervor. Da Vinci war kein Aristokrat und hatte somit wenig Kontaktstellen zu den „wahren Mächtigen“, die sich durch ihren Rang von „Außenseitern“ abschotteten. Er war in diesen Kreisen entsprechend wenig bekannt und so wussten die Menschen auch nicht, wie talentiert er war. In seine Bewerbungen für ranghohe Positionen integrierte er deshalb ein Schreiben, das ihm erlaubte, dies aufzuzeigen. Es galt vor allem, herauszustechen und sich durch die Personal Brand hervorzuheben.

Heute hat sich die Personal Brand erweitert vom nun klassischen Lebenslauf und Anschreiben hin zur beruflichen Social Media Präsenz. Sie bringt viele neue Vorteile mit sich. Die Kontaktaufnahme im professionellen Bereich ist einfacher, das Personenumfeld um die eigenen Interessen kann schneller gefunden werden und ermöglicht somit unangestrengt den Austausch mit Gleichgesinnten und – einhergehend mit der ursprünglichen Intention – kann man mit diesen Add-ons zur Personal Brand herausstechen.

Die Personal Brand hat sich jedoch zur Vermarktung seines Selbst erweitert. Ähnlich zu Unternehmen auf dem Verkaufsmarkt, wird die Personal Brand gebraucht, um sich auf dem Arbeitsmarkt und weiteren relevanten Umfeldern darzustellen. Dabei ist die eigene Positionierung relevant. Um hervorzustechen, ist eine eindrückliche und stark positiv geprägte Vergangenheit erforderlich. Entsprechend folgt der Drang der eigenen Optimierung, orientiert an der Selbstdarstellung nach außen. Das eigene Handeln, in Zielen und Umsetzung, orientiert sich um und es entsteht eine selbstgesetzte Rahmung um das eigene Handeln. Der soziale Vergleich und die Selbstoptimierung schränken ein.

Do it for the Lebenslauf

Mit dem Bedürfnis, sich zu behaupten und so positiv wie möglich darzustellen, spielen in vielen (beruflichen) Entscheidungen zunehmend der Name und der Ruf z.B. des Unternehmens oder der eigenen Position eine Rolle. Lieber füge ich eine neue Stadt und ein renommiertes Unternehmen auf meinem Lebenslauf hinzu, anstatt mich für das zu entscheiden, was mir tatsächlich das Erlernen weiterer Fähigkeiten verspricht. Auch Ehrenämter werden gerne für den Titel angenommen, während sich dann wenig bis gar nicht wirklich engagiert wird.

Sich zu sehr auf die Außendarstellung zu konzentrieren, schadet dem Skill-Set – dem, was hinter der Personal Brand steht und tatsächlich glänzen sollte.

Durch die Vermarktung seines Selbst entsteht außerdem der Druck, sich selbst mit limitierten Mitteln möglichst vollständig darzustellen, während dabei das positive Bild überragen soll. Zwischen diesen Seiten muss die Mitte austariert werden. Durch die Veröffentlichung der eigenen Vergangenheit, den Vergleichen mit anderen und der Limitierung an Mitteln zur Darstellung und entsprechender fehlender Möglichkeit der „Erklärung“ wird eine negative Beziehung zu den eigenen „Verlusten“ im Leben aufgebaut – zu den Ereignissen, die nicht in die ideale oder intendierte Personal Brand passen. Selbst Da Vinci maskierte in seinem und dem ersten Anschreiben seine eigentlich liberale politische Haltung, um seine Chancen zu erhöhen. Er zeigte sich eher kriegsfreudig und konservativ, was zu dieser Zeit und in entsprechenden Kreisen beliebt war.

Und alle ziehen mit

Naheliegend ist nun das Gefühl, sich aus dieser Welt zu entziehen und schlicht nicht mehr zu integrieren. Da sich andere jedoch mit ihrer Personal Brand behaupten, steigt der soziale Zwang. Man ist gefordert mitzuziehen, um mit den Mitstreitern gleich auf zu sein. Während sich mehr Leute auf Plattformen wie LinkedIn positionieren, um gefunden zu werden, wird es schwieriger, gefunden zu werden. Wenn sich alle besonders darstellen, hebt sich dieser Effekt bekanntlich auf und keiner sticht hervor. Die alte Kompetitivität bleibt bestehen, nur vernetzter, transparenter und öffentlicher ausgetragen und in einem viel größeren Wettkampfs-Umfeld.

Fazit

Wo Aufmerksamkeit eine Währung ist, sind wir nicht mehr nur die Konsumenten, die (mehr oder weniger bewusst) bestimmen, wer unsere Aufmerksamkeit erhalten darf. Wir müssen nun vermehrt auch selbst um die Aufmerksamkeit anderer kämpfen und werden damit zum Werbeobjekt.

Häufig muss ich, wenn ich das Zahlen-Sammeln auf LinkedIn sehe, an den Georg-Orwell-esken Roman „The Circle“ denken. Darin unterliegen Mitarbeitende eines Big-Tech-Unternehmens (ähnlich Google oder Facebook) dem Zwang, Dinge auf ihren sozialen Plattformen zu veröffentlichen, ob mit oder ohne Mehrwert, um die eigenen Interaktionsraten zu erhöhen und sich dadurch intern als auch extern hervorzuheben. Das Buch als auch diese Podcast-Folge und dieses YouTube-Video kann ich bei mehr Interesse zur kritischen Beleuchtung des Themas Personal Brand stark empfehlen.

Wenn ihr euch außerdem mit mir auf LinkedIn vernetzen wollt, dann findet ihr hier mein Profil ; )

Quellen:
Titel-Bild (bearbeitet von der Autorin): https://books.forbes.com/wp-content/uploads/2023/01/personal-branding.png
Bilder im Text: erstellt über Adobe Firefly

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