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Mein Herz rast. Es geht wieder los. Auf einmal kommt es mir so vor, als würde der Boden unter mir verschwinden. Zitternd setze ich mich auf den Boden. Knie angewinkelt, Kopf unten. Mein Körper fühlt sich an wie eine riesige Blase. „Nicht schon wieder“ ist mein letzter Gedanke, bevor das Chaos in mir beginnt…
Anxiety, Panikattacken, Depressionen – alles Begriffe, mit denen wir heutzutage schon einiges anfangen können. Die gesellschaftliche Wahrnehmung von psychischen Erkrankungen hat sich in den letzten Jahren verändert. Man spricht mehr darüber. Aber auch die Relativierung der Krankheiten hat sich gewandelt: Depressionen, das bekommt man nach einem schlimmen Todesfall oder tragischen Erlebnissen in der Kindheit. Panikattacken – ja nach einem Trauma vielleicht.
Dass psychische Krankheiten bei jedem auftreten können, auch ohne filmreife Vergangenheitsgeschichte, das ist den meisten Menschen allerdings noch nicht klar. Und dass gerade Studenten genauso davon betroffen sein können, schon gar nicht. Studenten, die, die doch eh nur schlafen und trinken, die in der schönsten Zeit des Lebens stecken? Quatsch. Gerade diese Erwartungshaltung macht es Betroffenen umso schwerer, über Probleme zu sprechen oder sich Hilfe zu suchen. Deshalb spreche ich mit Studenten, die reden. Leute, die zeigen wollen, dass es psychische Krankheiten auch im Studium gibt. Denn auch die Psyche ist Teil von uns und ist genauso zerbrechlich, wenn nicht sogar mehr.
Lea
Eigentlich kam alles ganz unerwartet. Lea ist 23, lebensfroh, kreativ. In der Schule fällt ihr vieles leicht. Dann beginnt sie ihr Praktikum. Jeden Tag 8 Stunden Arbeit plus 2 Stunden Fahrweg. Gleichzeitig Mappen erstellen – für die Unibewerbungen, Vorstellungsgespräche und Hausarbeiten. Lea will Mediendesign studieren. Sie bleibt immer länger wach, arbeitet bis in die Nacht hinein, nur um sich früh morgens wieder in den Zug zur Arbeit zu setzen.
„Es fing an mit Kopfschmerzen“, erzählt sie mir. Diese werden immer extremer. Irgendwann die Erkenntnis: Migräne. Leas Kopf ist voll. Mit Terminen, voll mit Gedanken und Ideen, voll mit Ängsten. Immer länger braucht sie, um einzuschlafen. Irgendwann geht es gar nicht mehr. „Meine Gedanken halten mich einfach wach. Ich liege im Bett und alles dreht sich im Kreis“. Oft braucht sie jemanden, der mit im Raum schläft, um überhaupt zur Ruhe zu kommen. Alleine schlafen? Irgendwann unmöglich. „Oft habe ich bei meiner Mutter im Zimmer geschlafen. Oder mein Freund oder Freunde kamen zum Übernachten“, erzählt sie. „Der Stress ist erdrückend, wie ein Brennen im Bauch. Ich kann schwer atmen und ich werde hypersensibel“. Lea leidet unter Panikattacken. Immer öfter fängt ihr Körper an zu zittern, sie bekommt Panik und ihr wird schwindelig. Auch ihre Essgewohnheiten ändern sich, sie isst immer weniger.
Teufelskreis der Gedanken
Mit der Zusage für´s Studium zieht sie nach Hannover. Kleinste Stresssituationen kann sie nicht ertragen. Die Wohnungssuche, der Umzug, die Eingewöhnungsphase – alles zerrt an ihren Nerven. „Früher konnte ich super unter Stress arbeiten. Das machte mich sogar produktiver. Heute lähmt mich der Stress förmlich“. Das merkt Lea auch im Studium. Projekte, Abgabetermine, Lernen, Klausuren: Das alles kostet Kraft und Nerven. Eine kleine Nachricht zum Studium am Abend genügt und sie kann nicht schlafen. Darunter leiden wiederum ihre Leistungen am nächsten Tag. Das Ergebnis: Noch mehr Stress, noch weniger Schlaf. Ein Teufelskreis. „Man weiß, rein sachlich, dass es Schwachsinn ist, sich Sorgen zu machen“, erklärt sie „aber man kann es nicht aufhalten“. Besonders zum Semesterende wird es schwieriger, dann wenn Klausuren und Abgabetermine anstehen. In dieser Zeit ist sie nicht fähig, alleine zu leben und vor allem zu schlafen.
„Ich bin ein funktionstüchtiger Mensch. Ich kann arbeiten!“
Diese Probleme verändern ihren Tagesrhythmus: Während sie früher eher unter die Kategorie Frühaufsteher fiel, schläft sie jetzt länger, bis 10, 11 Uhr vielleicht. Abends braucht sie lange, um Ruhe zu finden. Meist hilft eine Serie oder Freunde, die bei ihr schlafen. „Mittlerweile gehe ich eigentlich sehr offen damit um. Wenn ich z.B. im Studium in Teams arbeite, erkläre ich sofort, dass ich unter Stress nicht arbeiten kann und was meine Spielregeln sind“. Spielregeln, dazu gehört, dass nach 18 Uhr nicht mehr über das Studium o.ä. geredet oder geschrieben wird. „Manchmal schreibt mich doch noch jemand an, weil er es nicht weiß oder vergessen hat. Ich sage dann immer: ‚Es ist okay, wenn du mir etwas mitteilen willst. Aber wäge bitte ab, ob es das wert ist, dass ich dafür eine Nacht nicht schlafe‘ “. Die meisten reagieren sehr verständnisvoll und passen sich an. „Ich bin ein funktionstüchtiger Mensch. Ich kann arbeiten!“, betont Lea. Sie möchte kein Mitleid, nur eine gewisse Rücksichtnahme.
Ein eigenes System finden
Die Schwere der Schlafstörungen, der Migräne oder der Panikattacken variieren und sind abhängig von der jeweiligen Stresssituation. Lea hat sich ihrem Rhythmus angepasst. Sie verrät mir ihre Tipps: „Bei meiner Art von Migräne hilft Kaffee zum Beispiel. Das ist aber nicht bei allen Migränearten so. Außerdem gehe ich viel Spazieren oder mache Sport. Zum Einschlafen hilft es mir, Filme oder Serien zu gucken oder jemanden zu haben, der neben mir schläft. Der dümmste Trick (der mir aber tatsächlich hilft) ist, sich falsch herum ins Bett zu legen, also ans Fußende. Keine Ahnung wieso“, lacht sie. Diese Dinge helfen ihr, mit der Situation fertig zu werden. Man muss es so akzeptieren und sich darauf einstellen, dann geht das. Bis jetzt war Lea noch nicht beim Psychologen. „Meine Mutter und einige Freunde haben mir schon oft geraten, mich mit einem Psychologen zusammenzusetzen. Aber bis jetzt komme ich so klar“. Lea hat ihr System gefunden. Die wichtigste Komponente: Sich selbst gegenüber ehrlich sein, sich anpassen und mit anderen offen darüber sprechen, denn nur so können diese dann auch Rücksicht nehmen.
Du bist nicht alleine
Sich psychologische Hilfe zu suchen, fällt vielen nicht leicht. Oft meinen wir, dass man erst einen Psychologen braucht, wenn man schon am Rand der Brücke steht, um zu springen. „Es gibt doch so viele, denen es schlechter geht als mir! Oder „Ich funktioniere doch!“ hört man dann schnell. Aber gerade diese Einschätzung ist oftmals falsch. Wir neigen dazu, gerade psychische Beschwerden runterzuspielen, um nicht als „Psycho“ abgestempelt zu werden oder es auch nur uns selbst eingestehen müssen, dass es uns nicht gut geht. Letztendlich ist eine Therapie nicht für jeden etwas und jeder Therapeut, Psychologe und Psychiater arbeitet anders. Es ist nicht unbedingt leicht, seinen Weg darin zu finden. Die Psychologische Beratungsstelle (psb) der Hochschule Osnabrück bietet Studenten jedoch die Möglichkeit, mit professionell ausgebildeten Leuten zu sprechen, die einem weiterhelfen können. Unverbindlich, vertraulich und kostenfrei kann man sich hier beraten lassen, bei allen großen und kleinen Problemen. Der zentrale Ansatzpunkt ist hier: Du bist nicht allein. Nach einer Untersuchung des Deutschen Studentenwerks, leidet ein Viertel aller Studierenden während des Studiums unter ernsten psychischen Schwierigkeiten. Eine frühzeitige Beratung kann helfen, Krisen vorzubeugen oder diese zu lösen.