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15. Mai 2024(Zu viel) Engagement im Studium – Folgen unfairer Vergleiche
Wie kann es sein, dass der öffentliche Trend bei jungen Leuten ist, im Arbeitsalltag nicht länger und nicht mehr zu arbeiten als notwendig, im Studium dann aber bei vielen ein Wettstreit um zusätzliches Engagement entsteht? Ist es eine empfundene Unsicherheit, die die Menschen zu mehr treibt oder doch nur der Spaß an der Sache?
Engagement hat grundsätzlich einen sehr guten Ruf. Es legt den Einsatz und die Hingabe für zusätzliche Arbeit mit vermeintlich rein philanthropischer Absicht nahe. Auf der anderen Seite ist auch bewusst, dass zusätzliche Nebentätigkeiten planvoll betrieben werden können. So zum Beispiel zum Gewinn von Schlüsselkompetenzen, der Erweiterung von Netzwerken oder dem Erwerb von Zertifikaten, welche übergeordnet, in der Rolle eines Studierenden, einen besseren Berufseinstieg ermöglichen. Allerdings bleibt zu fragen, ob diese strategische Anwendung und die altruistische Perspektive allein ausreichen, um das Engagement der Studierenden zu erklären.
Szenario:
Gerade einen LinkedIn-Post für den studentischen Verein 1 hochgeladen, in einem weiteren Verein 2 Werbung für mehr Arbeit – aber eben auch mehr Verantwortung – für sich selbst gemacht, dann in den Zug gesetzt, einfach um nach Osnabrück und wieder zurückzufahren, denn im Zug lässt es sich am besten arbeiten. Dort ein paar E-Mails beantwortet – unter anderem die Zusage zu einem Vorstellungsgespräch für einen Werkstudentenjob – um zum Fertigstellen eines Beitrages für die Website des ersten Vereins überzugehen. Fertig hochgeladen weiter zu dem Brainstorming für einen Artikel für den Verein 2. Später soll es dann außerdem an die Recherche für die Bachelorarbeit gehen, die in diesem Semester auch noch geschrieben werden muss.
Gleichzeitig werden sich Gedanken gemacht, wie zeitlich noch Platz für ein viertes Praktikum vor dem tatsächlichen Berufseinstieg gefunden werden kann. Und ob nicht auch wieder das regelmäßige Gassi-Gehen im Tierheim wieder aufgegriffen werden sollte. Andererseits stand auch Bogenschießen schon lange auf der To-do-Liste und man braucht ja immerhin auch einen Ausgleich. Fluktuierend zwischen dem Gefühl, dass einem alles in der Welt zur Verfügung steht und man doch noch nicht genug vorbereitet für die zukünftigen Aufgaben und Verantwortungen ist. Dabei wird sehr häufig an andere gedacht. Wie viel arbeiten sie wohl gerade für ihre Nebentätigkeiten, wie viel mehr Verantwortung haben sie und wie gut bin ich im Vergleich platziert?
Das ist ein kleiner (fiktiver) Einblick in die Gedankenwelt von (unfreiwillig) (über-)engagierten Studierenden. Wie daraus hervorgeht, entspringt aus Vergleichen mit anderen ein Gefühl der Änderung des Status quos in Bezug darauf, dass und wie viel zusätzliches Engagement von einem gefordert wird. Dies kann mit Überforderung und Angst verbunden sein. Folgen, die sich daraus ergeben, sind Überarbeitung, Verlust an Spaß und Interesse und (damit) mehr Stress. Mit den ausführlichen Folgen von Stress hat sich Julia bereits in diesem Artikel beschäftigt.
Unfairer sozialer Vergleich als Treiber für forciertes Engagement
Vergleiche können grundsätzlich konstruktiv sein. Der Berufseinstieg ist ein Thema, welches häufig mit Unwissenheit und Furcht einhergeht. Vergleiche helfen uns in diesem Fall herauszufinden, wie man selbst positioniert ist. Sie zeigen uns, wo wir uns in unserem sozialen Umfeld befinden; welche Stärken und Schwächen wir haben. Sie befähigen uns auch dazu, von anderen zu lernen und mit Herausforderungen umzugehen (1).
Außerdem können wir uns „manchmal dadurch einfach besser fühlen. Wenn es uns schlecht geht, trösten wir uns damit, dass es anderen noch schlechter geht. Wenn wir besser sind als andere, kann das unser Selbstbewusstsein pushen“ (1). “Wir wollen nicht nur wissen, wie charmant wir sind, wir wollen wissen, dass wir in der Tat sehr charmant sind”, sagen dazu die Wissenschaftler Ladd Wheeler und Jerry Suls (2).
Wenn sich jedoch nur mit der Spitze gemessen wird, dann können diese unfairen sozialen Vergleiche zu dysfunktionalen Denkmustern führen:
„Personen wollen sich dann geradezu nur mit Top-Performern vergleichen, weil nur deren Leistungsniveau in ihren Augen etwas wert zu sein scheint“. (3)
Unfair ist ein sozialer Vergleich, wenn (sich) mit oberflächlichen Aspekten anderer verglichen wird, ohne die zugrunde liegenden, komplexen Hintergründe zu berücksichtigen. Diese „falsche Einfachheit“ kann zu Stereotypisierung oder einer falschen Zuschreibung von Merkmalen auf Personen führen (4). Durch den fehlenden Einblick in die Umstände anderer Personen entstehen also verzerrte, häufig schädliche Schlussfolgerungen und Projektionen auf die eigene Person.
Diese Denkwege werden gefördert durch die einfache Darstellung von Unterschieden durch z.B. zusammengefasste Statistiken (4). Passend sind diese in sozialen Medien prinzipiell überall vertreten. Alle Angaben ermöglichen einen sozialen Vergleich: die Anzahl der Aufrufe, Likes, Kommentare etc. Auf LinkedIn können sogar ganze Lebensläufe verglichen werden, ohne dass ansatzweise die Gesamtheit der Person oder die Hintergründe der „Erfolge“ abzuzeichnen sind.
Unfaire Vergleiche sind durch ihre Verankerung in der Kognition kein kurzfristiges Phänomen. Es lässt sich zudem schwer ein Ende finden. Wenn eine Person, mit der sich verglichen wurde, in Errungenschaften „überholt“ wurde, wird diese aus dem Blickfeld verloren. Anschließend wird sich automatisch zu einer nächsten (vermeintlich) „besseren“ gewandt, um das Konstrukt des Strebens aufrecht zu erhalten. An dieser dysfunktionalen Denkweise kann jedoch gearbeitet werden.
Lösungsstrategien
In dem 5-Step-Modell nach Sauerland wird ausgeführt, wie man dem unfairen sozialen Vergleich gegenübertreten kann. Es baut darauf auf, dysfunktionale Denkweisen aufzubrechen, worunter die unfairen sozialen Vergleiche gehören, indem man sich dessen bewusst macht, dass Gedanken formbar sind. Durch die Vorstellung der Fixiertheit von Gedanken sprechen wir ihnen nämlich jene ungerechtfertigte Richtig- und Wichtigkeit zu. Auf diesem dann formbaren Überzeugungssystem können nach eigenen Zielen dann neue Denkweisen aufgebaut werden. Aufgrund der Tiefe des gesamten Modells verweise ich hierbei auf den originalen Text von Sauerland. (Frei herunterladbar über unseren Hochschul-Login, ab Kapitel 4).
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es nicht zu wenig Engagement im Studium gibt. Zusätzliche Arbeit in Vereinen und Unternehmen ist zum Austesten seiner selbst und dem Kennenlernen des Bereiches von Interesse gedacht, nicht um sich auszulaugen, schon bevor der erste Job begonnen hat. Zwar ist man durch LinkedIn und andere soziale Plattformen leicht bei unfairen sozialen Vergleichen angekommen. Jedoch sollte man erkennen, wie eingeschränkt der Blick auf die Personen und ihre Erfolge ist und somit keine konstruktiven Schlüsse zulässt. Schlussendlich ist ein Gesamtvergleich überhaupt insofern unsinnig, da jede/-r andere Ziele und Herkünfte hat und damit auf seinem eigenen Weg unterschiedlicher Mittel bedarf.
Quellen:
(1): https://www.quarks.de/gesellschaft/psychologie/darum-vergleichen-wir-uns-mit-anderen-menschen/
(2): ebd., zitiert aus: Wheeler, Ladd; Suls, Jerry (2015): Social Comparison, Psychology of. In: International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences. Second Edition. S.210-215
(3): Sauerland, Martin (2018): Design Your Mind! Denkfallen entlarven und überwinden. Mit zielführendem Denken die eigenen Potenziale voll ausschöpfen. 2. Auflage. Wiesbaden. SpringerGabler. S.27
(4): https://nightingaledvs.com/unfair-comparisons-how-visualizing-social-inequality-can-make-it-worse/
Bild-Credits:
Titelbild und Bilder im Beritrag wurden mithilfe von Adobe Firefly erstellt.