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1. April 2024Theo Lingen – Was hinter dem Gesicht am Bahnhof steckt
Den Weg aus der Stadt zum Campus gehe ich oft. Jedes Mal, wenn ich die Zugunterführung durchlaufe, lächelt mich dabei das schwarz-weiße Gesicht von Theo Lingen an. Jedes Mal frage ich mich auch, was dieser Mann in seinem Leben geschaffen oder geschafft haben muss, um Nennung auf diesem Platz in Lingen zu erhalten und ob diese Gründe über seinen Nachnamen hinausgehen.
Endlich habe ich die Chance genutzt und zu ihm recherchiert und dabei tatsächlich einen sehr einzigartigen und ganz Deutschland prägenden Charakter kennengelernt. Studierenden, denen es bis jetzt so erging wie mir und nie mehr als die kurze Beschriftung neben seinem Bild gelesen haben, möchte ich hier Theo Lingen und sein Leben vorstellen.
Theo Lingen ist 1903 in Hannover als „Theodor Schmitz“ geboren. Sein Vater besaß eine Anwaltskanzlei, die nicht gut lief. Dennoch wollte er, dass Theo Rechtsanwalt wird und bei ihm einsteigt. Wie es so häufig in Erfolgsgeschichten Kreativer vorkommt, sträubt sich Theo dagegen, um sich dem Theater zu widmen. Seine Mutter unterstützt ihn dabei. Mit 17 Jahren tritt er dann das erste Mal im Theater in Hannover auf – Fernseher gab es noch nicht. Er fällt in eine neue Zeit der Darstellung; der Expressionismus wird zu seiner Zeit auf der Bühne beliebt. Dort kann er sich sehr schnell einfinden, lebt sein Naturell aus.
Was Theo Lingen mit Lingen zu tun hat
Sein Vater ist streng gegen das Vorhaben seines Sohnes, will seinen eigenen Namen nicht auf der Bühne vertreten sehen und wehrt sich deshalb dagegen. Theo entscheidet sich als Ausweg für einen Künstlernamen und wählt die Geburtsstadt seines Vaters – vielleicht auch eine Provokation. Das verrät er in der Lingener Kivelingszeitung.
Bertolt Brecht als entscheidende Figur in Lingens Leben
Mit 21 Jahren verliebt sich Theo Lingen in eine Opernsängerin, Marianne Brecht (geb. Zweck), die mit Bertolt Brecht verheiratet ist und ein Kind hat. Theos Liebe wird jedoch von ihr erwidert und so entschließen sich beide zusammen nach Frankfurt zu ziehen. Marianne Brecht veranlasst die Scheidung von ihrem Mann. Dieser willigt erst ein, als sie ihm von ihrer Schwangerschaft mit Theo erzählt.
Zeitgleich etabliert sich Theo Lingen auf der Bühne im Theater in Frankfurt und zeigt sein Können vor größerem Publikum. Die schlechten Umstände des Kennenlernens zwischen Brecht und Lingen führten scheinbar nicht zu einer Entzweiung. Vielmehr starten sie eine Zusammenarbeit und private Freundschaft.
So wird Theo Lingen von Brecht nach Berlin auf die Bühne geholt, um dessen Dramen aufzuführen. Berlin ist um diese Zeit, die 30er Jahre, die „Theaterstadt Europas“ – nach seinen Auftritten erhält er bei dem weitreichenden Publikum deshalb eine Vielzahl an Angeboten aus der ganzen Welt.
Bildquelle: picture-alliance / akg-images Foto: akg-images – entnommen von: ndr.de
Lingens Erfolg und Macht während der Zensur des dritten Reiches
Theo Lingen bleibt in den 1930er Jahren trotz Machtergreifung Hitlers in Deutschland. Er verändert jedoch seine Präsenz auf der Bühne. Er geht in die Rolle des Komikers, übernimmt größtenteils lustig geprägte Charaktere in unterhaltsamen Dramen. Diese Rolle gelingt ihm gut, da sie dem Expressionismus nahe ist, in welchem Lingen sich bis zu diesem Zeitpunkt bewegt und vertraut gemacht hat. Er wird der Komiker in Deutschland.
Seine Rolle gewinnt Beliebtheit bis in die höchsten Reihen der Regierung. Seine Frau Marianne ist jüdisch, weshalb für Theo eigentlich ein Berufsverbot gilt. Von Göring erhält er jedoch eine Sondergenehmigung, die ihm die Arbeit weiterhin ermöglicht. Mit seiner Stellung hilft er vielen in seinem Umfeld. Er bewahrt Teile seiner Familie vor der Deportation in Konzentrationslager und sendet Bertolt Brecht, welcher zu Beginn Hitlers Regentschaft bekanntlich ins Exil floh, immer wieder Geld zu.
Viele seiner Schauspielkolleg*innen wird das Arbeiten aufgrund von jüdischer Herkunft verboten, was ihm erlaubt, die Lücken zu füllen und so in seiner Bekanntheit weiter zu steigen. Von seiner Arbeit während dieser Zeit spricht er von „Blutgeld“.
Theo Lingen kommt ins neue Fernsehen
Gegen Ende des Krieges nimmt Theo Lingen Darsteller-Angebote aus Wien an. Er nimmt Rollen am Theater wahr, die ihm viel bedeuten. Erst jetzt findet das Fernsehen vermehrten Gebrauch in deutschen bzw. deutschsprachigen Haushalten, während sie erst 1932 erfunden und ihre Verwendung während des Nazi-Regimes eingeschränkt wurde. Lingen behält die Komiker-Rolle, die in der Nachkriegszeit erfrischend gut ankommt, und steigt damit ins Fernsehen ein. Später vervielfältigt er seine Präsenz im Fernsehen und übernimmt unterschiedlichere Charaktere.
Er stirbt 1978 in Wien, wo sich heute auf dem Zentralfriedhof sein Grab befindet.
Persönliche Einschätzung
Theo Lingen war tatsächlich eine Person, die man nicht mit anderen vergleichen kann. Sein Auftreten als Komiker habe ich anfangs für mich mit Kurt Krömer in Ähnlichkeit gezogen, seine mediale Präsenz und Beliebtheit, wenn auch nicht weitreichend genug, mit einem Matthias Schweighöfer. Und trotzdem eröffnet sich aus ihm ein ganz anderer Charakter als diese beiden erschließen würden. In Interviews ist er offen, zugänglich und lieb – fern ab von meiner ersten Befürchtung, eines weiteren privilegierten alten Mannes, dem man dies anmerkt. Privat ist er eher introvertiert und behält sein Privat- und Familienleben verdecket von der Öffentlichkeit. Er steckte voller Pläne und war unheimlich talentiert: Wenn in Berichten die Städte genannt wurden, in die er zog, wurde wenige Minuten später von den Theaterstücken und Filmen gesprochen, die ihm in selbigen Städten große Berühmtheit und Beliebtheit erbrachten – er schien das Feld für sich durch sein Talent und seine Mühen zu ebnen.
Etwas enttäuschend war für mich, dass wenig Verbindungen zwischen ihm und Lingen aufkam. Über die Nennung der Stadt durch seine eigene Namensgebung hinaus wird sie meist nicht weiter erwähnt. Entsprechend ist, wenn auch nicht die einzige, definitiv doch die stärkste Verbindung zwischen ihm und Lingen der Name, den sie ihm gegeben hat. Dennoch sehe ich sein Bild am Bahnhof nun mit anderen Augen und empfinde statt Verwunderung Freude.
Zu meiner Recherche habe ich vor allem folgende Dokumentation dazu gezogen: https://www.youtube.com/watch?v=sVfKp0-DsGA
Titelbild: eigene Aufnahme – Ort: Lingen am Bahnhof