
Lingen grüßt die Welt – der Blick aus dem Fenster (Tag 16)
22. April 2020
Zwischen Zoom-Meetings, WhatsApp-Gruppen und Claudia-Obert-Memes
24. April 2020Kampf um 20 Pakete Mehl – Polizeialltag zu Coronazeiten

Reizlos, lockerer Tagesablauf, Homeoffice. Damit könnte man vielleicht den aktuellen Alltag vieler Menschen beschreiben. Aufgrund des Coronavirus und der damit verbundenen Regelungen, ist die Mehrzahl der Gesellschaft in ihrer Lebensweise eingeschränkt. Durch allgemeine Verminderung sozialer Kontakte müssen viele von zuhause aus arbeiten. Viele haben das Homeoffice bereits akzeptiert und auch die dadurch gewonnene Zeit dankend angenommen. Auch ich habe mich bereits an meinen neuen Alltag gewöhnt und vergesse zwischendurch die bestehende Pandemie. Nur wenn ich das Haus verlasse, werde ich wieder mit der Realität konfrontiert und muss an die Menschen denken, die trotz Corona ihren regulären Arbeitsalltag leben.
Zu diesen Menschen gehören zum Beispiel Polizisten. Sie sorgen dafür, dass sich die Bürger an Regelungen halten und in der Coronazeit Ordnung bestehen bleibt. Das Homeoffice ist für viele Polizisten keine Option, denn sie haben reguläre Dienstzeiten.
Aber wie muss man es sich vorstellen in Zeiten von Corona als Polizist zu arbeiten und welche Veränderungen machen sich bei ihrer Arbeit bemerkbar? Diese und noch weitere Fragen habe ich einem Bekannten gestellt, der im Landkreis Emsland als Polizist tätig ist.
Viele Menschen arbeiten im Moment im Homeoffice, jedoch ist das für dich keine Option. Welche Veränderungen bemerkst du in deinem Dienstalltag?
„Wir sind wirklich auf ein Mindestmaß an Personal reduziert. Zusätzliche Dienste oder Kräfte werden nicht vorgehalten, diese müssen zuhause bleiben, sodass nur ein Minimum der notwendigen Kollegen da ist. Das heißt aber auch, dass wir in bestimmten Schichten oder Teams zusammenarbeiten. Für den Fall das jemand krank werden sollte, muss dann nämlich nicht die gesamte Dienststelle ausfallen. So hat man einen kleinen Bereich, den man ersetzen könnte. Das ist landesweit so geregelt, sodass die Organisation im Polizeialltag soweit es geht laufen kann. Aktuell haben wir im Emsland auch nur einen erkrankten Kollegen, der sich vermutlich über seine Frau angesteckt hat. Ansonsten haben wir noch den einen oder anderen Quarantänefall gehabt, bei denen die Tests aber negativ ausgefallen sind. Im Moment können wir also sagen, dass wir von Corona relativ verschont worden sind, wobei Dunkelziffern natürlich auch noch existieren.
Ansonsten hat sich unser Alltag so verändert, dass wir natürlich noch mehr auf Hygienevorschriften und Kontakte achten müssen. Früher hat man sich bei Schichtbeginn die Hand gegeben oder sich umarmt und das fällt jetzt natürlich weg. Alles wird vor Beginn des Dienstes nochmal desinfiziert. Vorher hatten wir da auch bestimmte Regelungen für, aber jetzt müssen wir Telefone, Computer, das Auto und alles Mögliche vorher reinigen. Wir haben natürlich auch bestimmte Schutzkleidung und Schutzausrüstung, die wir auch bei manchen Einsätzen brauchen. Es gibt nun auch sogenannte Quarantänelisten, damit wir bei einem Einsatz vorher informiert sind. Es gab auch schon einen Vorfall, da konnten sich die Kollegen mit den Betroffenen erst nur über den Balkon unterhalten und sind dann schließlich mit Schutzanzügen in die Wohnung gegangen. Das ist alles sehr gewöhnungsbedürftig.
Oh, und natürlich mache ich deutlich weniger Stunden, weil ich nicht bei jedem Dienst dabei sein darf. Das muss letztendlich alles auch wieder aufgefangen werden, da muss man sehen wie man nachher damit umgeht.“
Ständig werden neue Regelungen beschlossen oder auch alte wieder gelockert. Wie schwierig ist es sich immer auf dem neusten Stand zu halten und zu wissen welche Regelungen zutreffen?
„Ja, wir werden natürlich schon informiert, sofern es geht. Wir haben E-Mail-Nachrichten, eine App mit der wir uns informieren und auch Hotlines mit denen wir uns kurzschließen können. Aber es ist schon nicht ganz einfach, denn wir haben letztens auch festgestellt, dass die beschlossenen Maßnahmen teilweise nur sehr kurzfristig gültig sind und dann so ausgelegt sind, dass man konkret damit nichts anfangen kann. Wir müssen uns also ständig informieren und auch nachfragen, damit wir auch vor Ort vernünftig einschreiten können. Wir haben es inzwischen aber auch so hinbekommen, dass wir mit dem nötigen Fingerspitzengefühl mit den Leuten grundsätzlich konstruktive Gespräche führen können. Diese führen letztendlich zu der Akzeptanz unserer Maßnahmen.“
Durch Isolation und damit der ständigen Konfrontation mit der eigenen Familie oder dem Partner sind Auseinandersetzungen wahrscheinlicher. Merkst du selber, dass zum Beispiel die Fälle von Häuslicher Gewalt angestiegen sind oder anderes häufiger vorkommt?
„Ja das ist nicht so einfach zu sagen, weil mir konkrete Fallzahlen nicht vorliegen. Aber ich habe den Eindruck, auch mit Blick auf andere Landkreise, dass es zugenommen hat. Ich hätte es aber ehrlich gesagt noch schlimmer erwartet, weil ich damit am meisten gerechtet hätte, wenn die Leute nur noch aufeinander hocken. Gerade auch weil Alkohol immer eine Rolle spielt. Ich denke es ist eine Steigerung da, aber nicht so enorm wie ich es erwartet habe. An einem Wochenende hat es auf jeden Fall in meinem Koordinierungsbereich 11 Fälle gegeben. Das darf man jetzt aber nicht nur so sehen, dass es dort zu richtiger Gewalt gekommen ist, denn rein statistisch gehört auch Beleidigung dazu. Das ist trotzdem schon eine Hausnummer.
Gefühlt ist also die Häusliche Gewalt mehr geworden, aber auch Suizid-Versuche. Ich kann das jetzt nicht mit Zahlen belegen, weil ich da gerade keine Statistiken kenne. Aber ich denke die Existenzängste und die ganzen finanziellen Probleme machen Menschen, die vielleicht sowieso schon depressiv veranlagt sind, im Moment sehr zu schaffen.“
Das Verhalten der Menschen hat sich in den letzten Monaten auch stark verändert. Gab es bei euch skurrile Einsätze oder ist dir sonst noch etwas aufgefallen?
„Die Streitigkeiten um diese Hamsterkäufe, das ist das absurdeste was ich mitbekommen habe. Das selbst hier vor Ort die Menschen so abdrehen, sich mit den Verkäufern anlegen und komplett beratungsresistent sind. Das versteh ich einfach nicht. Zu Anfang war das ein großes Problem. Es gab sogar einen Vorfall, bei dem eine Person 20 Pakete Mehl kaufen wollte und das natürlich nicht durfte. Die Person hat nach einem Streitgespräch ungefähr 3 Pakete Mehl auf den Boden geworfen und ist wutentbrannt aus dem Laden gestürmt. Solche Einsätze sind zu Beginn öfter vorgekommen. Außerdem rufen auch viele Leute an und sagen: ‚Hallo, ich weiß was, möchte meinen Namen aber nicht sagen‘. Die passen alle auf, ja okay, aber man muss natürlich auch ein bisschen die Kirche im Dorf lassen. Die Leute haben zuhause nichts zu tun, sitzen im Garten und rufen an, weil sie jemanden grillen sehen.“
Was sind Dinge, die du nicht erwartet hättest und wie würdest du das Verhalten der Menschen einschätzen?
„Also ich hätte nicht erwartet, dass das alles so relativ problemlos läuft. Ich hätte mir das irgendwie chaotischer vorgestellt. Die Situation kannte keiner, wusste keiner einzuschätzen. Ich hätte nicht vermutet, dass die Mehrheit so gut mitmachen würde. Diese Menschen achten auf die Regelungen und allgemein hat sich das Verhalten geändert. Ich hätte auch mehr damit gerechnet, dass die Menschen auch noch viel aggressiver werden würden, weil sie die ganze Zeit zusammen sind. Ich bin also positiv überrascht und hoffe es bleibt auch so.“
Nun wurden die Regelungen wieder gelockert und die ersten Geschäfte machen wieder auf. Es fühlt sich so an als ob der Arbeitsalltag bald wieder bei vielen einkehren wird. Bevor dies aber der Fall ist, sollten wir nicht nur an uns denken, sondern auch an unsere Mitmenschen. Gerade in Zeiten von Corona ist Mitgefühl und vor allem auch Mitdenken gefragt. Sich an Regelungen zu halten und dadurch die momentane Situation zu akzeptieren, mag für manche schwierig erscheinen. Jedoch müssen wir gerade dann auch an die denken, die uns den Alltag mit ihrer Arbeit in solchen Situationen erleichtern. Diese Menschen können Polizisten sein, aber auch Krankenschwestern oder allgemein Personen, die systemrelevante Berufe ausüben. #stayhome
Das Interview stammt von Mitte April 2020