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Ein Tag mit einem deutschen Volontär in Israel
35 Grad Außentemperatur, blauer Himmel, rechts und links grüne Pflanzen, die durch schwarze Schläuche bewässert werden und eine dunkelrote Lehmstraße, die durch den Innenhof des Altenheimes Givat Haschloscha führt. Wir befinden uns in Petach Tikwa, Israel.
Voraus läuft Hendrik, ein 20 Jahre alter Deutscher, der für mehrere Monate Volontär in dieser Einrichtung ist. Er ist lässig gekleidet, hat kurze braune Locken und trägt Ledersandalen. „Hier geht man generell alles ganz entspannt und spontan an“, berichtet er. Ein weißes Gebäude mit automatischer Schiebetür ist das Ziel: Rollstuhlstation B. Die Station, für die Hendrik zu Anfang des Volontariats eingeteilt wurde. Angegangen ist er dieses Projekt im August 2018 mithilfe der Organisation „Dienste in Israel“. Als Volontär in Israel betreut und pflegt man alte, kranke oder behinderte Menschen in unterschiedlichen Sozialeinrichtungen. Man begegnet während des praktischen Versöhnungsdienstes den letzten Holocaust-Überlebenden persönlich.
„Eine prägende Erfahrung in einem faszinierenden Land“
schreibt die Organisation „Dienste in Israel“ auf ihrer Homepage
Für sechs, neun oder zwölf Monate kann man im Alter von 18-30 Jahren ein solches Volontariat durchführen.
Besondere Begegnungen
Im Gebäude angekommen, trifft uns eine Kälte-Welle der Klimaanlage. „Die Temperaturen zur Sommerzeit machen den Bewohnern oft zu schaffen“, erzählt Hendrik. Er führt uns durch weiß geflieste Flure mit roten Zimmertüren bis wir schließlich im Aufenthaltsraum ankommen. Circa 25-30 Senioren sitzen hier in kleinen Tischgruppen zusammen, einige unterhalten sich, andere starren in die Luft. Es riecht nach Essen und Desinfektionsmittel. Zu Hendriks Aufgaben gehören hier das Anreichen von Essen, die Unterhaltung im Alltag und die Betreuung bei der Physiotherapie.
Je weiter wir in den Raum treten, desto mehr Bewohner erkennen Hendrik und begrüßen ihn freudig. „Andrej“ oder „Andruschka“ hört man einige von ihnen sagen, denn „Hendrik“ ist in hebräischer Sprache schwer auszusprechen.
„Sie sind immer sehr fröhlich und dankbar, wenn ich komme, das merkt man.“
Hendrik über die Bewohner des Altenheimes
Die Senioren dieses Altenheimes kommen teilweise aus Deutschland, der Ukraine, Russland oder Tunesien. Alle besitzen jedoch eine israelische Staatsangehörigkeit. Was sie verbindet, ist ihre ethnische Herkunft: Sie alle sind Juden. Viele von ihnen mussten in ihren frühen Lebensjahren aufgrund des Antisemitismus nach Israel fliehen. „Hier halfen sie als Pioniere, das Land aufzubauen!“
Hendrik weiß über die Schicksalsschläge und Errungenschaften dieser Menschen Bescheid. Durch Gespräche versucht er immer wieder, etwas aus dem Leben der Bewohner zu erfahren. „Er zum Beispiel ist ein ehemaliger Oberoffizier der israelischen Armee“, berichtet Hendrik begeistert und zeigt auf einen alten Mann, der verträumt nach draußen schaut. Auch Markal, eine ältere Dame mit weißen kurzen Haaren, wird uns vorgestellt. Sie trägt eine schwer lesbare, verblasste Nummer am unteren Arm. „Sie ist eine Auschwitz-Überlebende, aber leider nicht mehr in der Lage, klar zu reden. Sie hat viele Kinder hier in Israel bekommen.“ Hendrik lächelt sie an. Sie lächelt zurück. „Auch wenn man sich mit einigen nur teilweise verständigen kann, bedeutet ein Lächeln schon viel.“
Verantwortung, Verpflichtung oder Schuld?
Auf die Frage, warum die Volontäre sich gerade für den Dienst im Givat Haschloscha entschieden haben, antwortet die 19-jährige Isabell: „Es lag mir einfach am Herzen, etwas mit älteren Menschen zu machen. Dann bin ich auf die Organisation gestoßen und hab mir gedacht: Warum eigentlich nicht?!“. Hendrik antwortet:
„Weil ich glaube, dass wir als junge Deutsche in einer besonderen Verantwortung stehen. Kriegsnähere Generationen wollten oft vergessen, was damals passiert ist, ich aber sage, die Leute die vergessen wollen, vollenden das Werk der Menschen, die das jüdische Volk auslöschen wollten.“
Dies spiegelt auch die allgemeine Auffassung der meisten Deutschen wider. Denn seit den frühen 90er Jahren steigt zunehmend die Meinung, dass man unter die deutsche Vergangenheit zwischen 1933 und 1945 keinen „Schlussstrich“ ziehen sollte. Stattdessen zeigt eine Befragung des ZDF Politbarometers von 2018, dass in Deutschland für die Aufarbeitung und Erinnerung an den Holocaust genau richtig (58%), wenn nicht noch zu wenig (26%) getan wird. 14% der Befragten sind der Ansicht, man tue zu viel dafür.
Hat Deutschland also eine besondere Verpflichtung gegenüber Israel? Stehen Deutsche noch heute in der Schuld der Israelis bzw. werden sie mit den Nationalsozialisten in Verbindung gebracht? „Nein, das habe ich persönlich noch nicht erlebt. Die meisten von ihnen reagieren sehr positiv auf Deutsche. Zu Anfang gab es höchstens mal ein verwundertes „ma, ata germanit?“ („Was, du bist Deutscher?“). Viele von ihnen schätzen das sehr, was wir hier tun“, erzählt Hendrik. „Als Deutscher wird man hier eher positiv eingeordnet“, weiß Isabell. „Das haben uns die Organisation und auch die ehemaligen Volontäre schon im Voraus berichtet.“ Beide vermuten, dass das wahrscheinlich auch damit zu tun hat, dass Israel zu Deutschland, innerhalb Europas, zurzeit die beste Beziehung hat.
Brücken bauen zwischen Deutschen und Israelis
Das deutsche Team in Petach Tikwa aus fünf Volontären hat sich bereits gut in Israel eingelebt. Sie wohnen zusammen in einem alten Kibbuz unweit des Altenheimes. Draußen stehen alte Sofas, auf denen es sich eine Katze gemütlich macht. Darüber baumelt ein Volontär in einer Hängematte. Die Decken der Zimmer sind sehr hoch. Viele Möbel haben sie sich vom Sperrmüll zusammengesucht. Ein paar Schätze waren dabei. Die Hitze draußen und die Klimakälte im Hausinneren stehen im selben Kontrast, wie die Annahmen der meisten Deutschen über Israel und die Realität.
Diese fünf Deutschen sind sich jedenfalls einig: Sie sind keine Volontäre, weil sie etwas wiedergutmachen wollen, sondern um eine Brücke zwischen den Deutschen und den Israelis zu bauen, Freundschaften zu schließen, damit das, was uns die Geschichte lehrt, nicht noch einmal passiert. Genau so sehen die Israelis das auch. Aus diesem Grund nennen sie die Organisation auch „Hagoschrim“, was übersetzt „Die Brückenbauer“ bedeutet.