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Diese Worte sprach Bundespräsident Richard von Weizsäcker am 3.Oktober 1990 wenige Sekunden nach Mitternacht vor dem Reichstagsgebäude in Berlin, bevor ein Chor die deutsche Nationalhymne anstimmt. Einigkeit und Recht und Freiheit – zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg wieder für alle deutschen Bürger. Studium in der DDR
Zum dreißigsten Mal jährt sich heute der Tag der Deutschen Einheit. (Hier geht’s zum Text von Sophie zur den Geschehnissen, die zur Wiedervereinigung führten) 329 Tage nachdem Günter Schabowski – Sekretär des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) – auf einer Pressekonferenz am 9.November 1989 den Mauerfall herausstammelte, vereinten sich feierlich die zwei deutschen Staaten zu einem. Nach fast 41 Jahren löste sich die Deutsche Demokratische Republik auf und ihre Gebiete traten der Bundesrepublik bei. Lange hatten viele DDR-Bürger dafür protestiert, sie wollten nicht mehr in einer sozialistischen Diktatur leben. Die SED hatte über Jahrzehnte ihr Leben in vielen Bereichen bestimmt , damit auch die Bildungspolitik und damit die akademische Ausbildung. Wie war das eigentlich, ein Studium in der DDR?
Ideologischer Numerus Clausus
Heutzutage ist die allgemeine Voraussetzung, um ein Studium zu beginnen, das Abitur, denn ohne geht es in der Regel nicht. Das war auch in der DDR nicht anders, allerdings konnten sich Abiturientinnen und Abiturienten danach nicht einfach in einen Studiengang einschreiben: Die wenigen vorhandenen Plätze vergab die SED – eine Auswahl mit politischen und ideologischen Hintergedanken. Das Studium in der DDR war ein Privileg. Es bildete nicht in erster Linie junge Akademiker aus, sondern es war ein Mittel, um eine junge Sozialistenelite zu fördern. Auswahlkriterien für Studierende waren unter anderem ihre Herkunft, ihre Religion, ihr soziales Engagement und ihr Bekenntnis zur sozialistischen Ideologie. Eine Parteimitgliedschaft war nicht zwingend notwendig. Viele Studierende waren aber Mitglied der Freien Deutschen Jugend (FDJ), dem Jugendverband der SED.
Die Partei ließ Kinder von Akademikern nur selten für ein Studium zu, bevorzugt wurden dafür die Töchter und Söhne von Arbeitern und Bauern. Für diese gab es bis 1963 spezielle Bildungseinrichtungen, die Arbeiter- und Bauernfakultäten, auf denen sie ihr Abitur nachholen konnten.
Lehramt? Nee, wir brauchen noch Ingenieure!
Wie wirkte sich diese politische Art der Zulassungsbeschränkung auf die Studierendenzahl aus? In den Monaten vor dem Mauerfall 1989 gab es in der DDR 284.000 Studentinnen und Studenten. Zur Gründung der DDR 1949 waren es knapp 45.000 und auf dem Höhepunkt in den 70ern über 300.000 Frauen und Männer, die die Hochschulbank drückten. Die Gesamtzahl der Zulassungen orientierte sich dabei am Wirtschaftsplan der Regierung. Und auch die Fächer, die Studierende belegten. Mit Blick auf die wirtschaftliche Lage, lenkte die SED Studienanfängerinnen und -anfänger in bestimmte Fachrichtungen. So sorgte sie für Nachschub in bestimmten Branchen. Heute ist das natürlich unvorstellbar. Im Zweifel haben wir auch die Möglichkeit, uns in einen Studiengang einzuklagen. Auch dieses juristische Mittel gab es in der DDR nicht.
In der DDR gab es sechs „klassische“ Universitäten – in Berlin, Greifswald, Halle, Jena, Leipzig und Rostock sowie zwei technische Unis in Dresden und Magdeburg. Dazu kamen noch einige Hochschulen mit verschiedenster Fachorientierung und wissenschaftliche Akademien. Insgesamt gab es circa 90 Einrichtungen.
Abweicher fliegen raus
Das Studium in der DDR war genau durchgeplant: Studierende konnten sich nicht selbst entscheiden, welchen Seminaren sie belegen und auch nicht, ob sie eine Prüfung beispielsweise im zweiten oder erst im vierten Semester ablegen wollten. Die SED nahm ihnen diese Entscheidungen ab. Ein Abweichen von der vorgesehenen Regelstudienzeit war so praktisch nicht möglich. Niemand sollte sich länger als nötig mit dem Universitätsbesuch aufhalten. Schnell sollte man ein funktionierender Teil der sozialistischen Gesellschaft werden.
Die Lehre in den Lehren des Marxismus und Leninismus war deshalb ein Pflichtteil des Curriculums. Wer sich gegen die sozialistische Ideologie auflehnte, konnte exmatrikuliert werden. Das galt sowohl für Studierende als auch für die Lehrkräfte an den Universitäten und Hochschulen. Wer linien- und parteitreu war, wurde bevorzugt und hatte bessere Aufstiegschancen in Bildungssystem und Gesellschaft. Lehrende, deren Ansichten als zu westlich galten, wurden an ihren Einrichtungen als „NATO-Professor“ diffamiert. Wie auch schon bei der Zulassung zum Studium in der DDR hatte hier die Stasi insofern ihre Augen und Ohren im Spiel, als dass das Ministerium für Staatsicherheit für die Absetzung von Lehrkräften sorgen konnte.
Ein zentrales Element der Studienorganisation waren die sogenannten Studierendengruppen. Dies waren feste Gruppierungen von bis zu 30 Studierenden einer Fachrichtung, die von der Hochschulleitung festgelegt wurden. Die Gruppen verbrachten große Teile des Studiums zusammen und wuchsen im Laufe der Semester oft zu einer Art zweiten Familie zusammen.
Das Geld kommt vom Staat
Kommen wir nun noch zu Themen, die Studierende damals und heute beschäftigen: Geld und Wohnen. Im Jahr 2019 bekamen 489.000 Studierende in Deutschland BAföG. Vier Prozent aller Studentinnen und Studentinnen wurden mit einem Stipendium gefördert, das sind etwa 115.000. In der DDR waren staatliche Stipendien dagegen die Regel, ab 1981 wurden alle Direktstudierenden von der Regierung unterstützt. Sie bekamen ein monatliches Grundstipendium von bis zu 350 Mark, das sie nicht zurückzahlen mussten. Zudem waren sie alle beitragsfrei krankenversichert. Auch Studiengebühren gab es nicht. Weitere Zuverdienste durch Nebenjobs waren nur im Ausnahmefall erlaubt, das Geld vom Staat sollte ausreichen. Niedrige Preise gab es in vielen Bereichen: Ein Mittagessen in der Mensa kostete oft maximal eine Mark. Das Zugticket von Magdeburg nach Leipzig gab es für 5,40 Mark.
Wohnten 2018 bundesweit etwa ein Drittel der Studierenden in Wohngemeinschaften und etwa 15 % in Wohnheimen, waren die Verhältnisse in der DDR – wer hätte es erwartet – ganz anders. Laut Zahlen aus dem Jahr 1989 lebten nahezu drei Viertel in Wohnheimen und nur zwei Prozent in WGs. Lag die Hochschule mehr als 50 Kilometer vom eigenen Wohnort entfernt, hatte man Anspruch auf einen Wohnheimplatz. Die Platzverhältnisse in den Wohnheimen kann man aber keinesfalls als geräumig bezeichnen. In einem Einzelzimmer lebten nur zwei Prozent aller Studierenden. Die meisten teilten sich ein Zimmer mit Kommilitoninnen und Kommilitonen.
Die „Küken“ der SED
Ein Studium in der DDR: Das bedeutete vor allem Bildung unter den Fittichen der sozialistischen Partei, denn in allen Bereichen beeinflusste die SED die akademische Ausbildung von Hunderttausenden junger Leute. Sie sollten zu überzeugten Unterstützerinnen und Unterstützern der sozialistisch-kommunistischen Ideologie werden. Freiheiten im Studium gab es wenige, vieles war genau geplant und an der Staatspolitik ausgerichtet. Bis zur Wende verloren viele Studentinnen und Studenten in der Parteidiktatur der SED die Fähigkeit, die heute an vielen Stellen gefordert und gefördert wird: Nämlich die Fähigkeit des freien und kritischen Denkens.