Emsland Beach Festival 2023 – Auf ein Neues!
9. Juni 2023Hinter den Kulissen von Hollywood: Die Schattenseiten einer glänzenden Industrie
30. Juni 2023“Wenn es so weiter geht, wird das Apotheken-Sterben immer größer!”
Apotheken schlossen deutschlandweit am 14. Juni zum Protest
Am 14. Juni 2023 protestierten deutschlandweit viele Apotheken aus Protest als Reaktion auf die Entscheidungen der Bundesregierung zur aktuellen Gesundheitspolitik. Diese betreffen zum einen Lieferengpässe als auch eine seit Jahren bestehende Personalnot und Unterfinanzierung. Dazu habe ich mit Jannika Brüggemeier gesprochen. Sie arbeitet als Pharmazeutisch-Technische Assistentin in einer öffentlichen Apotheke und erlebt die Probleme der Medikamentenknappheit und der Personalnot täglich.
Hallo Jannika, bereits am 15. Mai 2023 veröffentlichte die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) eine Pressemitteilung, aus der hervorgeht, dass am 14. Juni 2023 viele Apotheken in Deutschland ihre Türen für einen Tag aus Protest schließen werden. Lediglich Notfallapotheken sichern die Arzneimittelversorgung, hieß es. Habt ihr eure Kund*innen in den letzten Wochen über die momentane Situation der Apotheken und über den Protest aufgeklärt?
Ja, wir klären unsere Kund*innen über die Situation auf, auch über den Protest. Wir erklären ihnen oft, wie unser Standpunkt ist und, dass wir zwischen den Stühlen hängen, weil die Politik die komplette Apothekenbranche und das Gesundheitswesen kaputt-gespart hat. Beispielsweise gibt es seit Jahren Rabattverträge, wodurch der Konkurrenzkampf sich immer vergrößert, die Preise immer mehr gedrückt werden und die Produktion der Medikamente wird komplett in andere Länder ausgesourct. Dadurch ist es ja klar, dass dann irgendwann das Gesundheitssystem einfach nicht mehr richtig mitspielt.
Wir berichten unseren Kund*innen natürlich auch, wenn Medikamente nicht lieferbar ist. Viele Kunden sind dann oft ungehalten und genervt und kennen das Problem auch schon. Sie sind sauer und probieren dann woanders ihr Medikament zu bekommen. Aber ja, gut zufrieden ist damit irgendwie keiner mehr. Gesundheit ist immer ein sensibles Thema und wenn es dann um Medikamente geht, die man dringend braucht, ist das echt ein schwieriges Thema.
Am 07. Juni, dem Tag der Apotheken, haben wir auf den kommenden Apotheken-Streik aufmerksam gemacht, indem wir allen Kunden kurz mitgeteilt haben, was passiert beziehungsweise warum wir streiken. Wir haben unter anderem Flyer verteilt, auf denen unsere Forderungen stehen und auch darauf hingewiesen, dass wir am 14. Juni nicht öffnen werden. Außerdem haben wir vom 07. Juni bis zum Protest-Tag statt unserer üblichen weißen Arbeitskleidung schwarze Kleidung getragen.
Ein großes Problem ist momentan die Lieferung von Medikamenten. Es gibt bereits verschiedenen Maßnahmen, die den Lieferengpässen entgegenwirken sollen. Auch ein neues Lieferengpass-Gesetz der Regierung soll dazu beitragen, dass sich die Arzneimittelversorgung in Deutschland stabilisiert. Dieses wird laut der Apothekerschaft, die aktuell herrschenden Probleme nicht lösen. Wie prägen die Lieferengpässe von Medikamenten deinen Arbeitsalltag? Hast du seit Beginn deiner Tätigkeit Veränderungen in der Branche wahrgenommen?
Ja, ich habe Veränderungen in der Branche wahrgenommen. Und zwar ist es so, dass die Arzneiknappheit immer stärker wird. In der Anfangszeit nach meiner Ausbildung war es mal vereinzelt so, dass es hier und da schwierig war einzelne Wirkstoffe zu bekommen oder dass wir ca. eine Woche auf die Lieferung warten mussten. Dass manche Medikamente nicht lieferbar sind, war damals schon ein Thema, aber das wurde in den letzten Jahren und vor allem in den letzten Monaten immer mehr. Teilweise haben wir nicht mal die Möglichkeit, die Kund*innen ordnungsgemäß mit den Arzneimitteln zu beliefern und müssen uns häufig mit den Arzt*innen in Verbindung setzen, damit diese ein anderes Medikament mit einer ähnlichen Wirkung verschreiben. So können wir den Kund*innen wenigstens noch etwas helfen.
Es fehlen wirklich viele Medikamente. Es ist als Laie wirklich schwierig vorstellbar, aber auch die einfachsten Medikamente wie Schmerzmittel für Kinder, Blutdrucksenker oder auch Medikamente zur Chemotherapie und generell Krebsmedikamente sind nicht lieferbar. Eigentlich die komplette Bandbreite fehlt immer wieder und die Medikamente sind teilweise über Wochen nicht lieferbar. Wir können den Kund*innen oft auch keine Auskunft geben, wann wir das Medikament wieder bekommen.
Das prägt den Alltag schon sehr und es macht uns auch keinen Spaß unsere Kund*innen immer wieder vertrösten zu müssen. Sie nehmen die Medikamente ja auch nicht aus Spaß, sondern sind darauf angewiesen, um gesund zu werden bzw. gesund zu bleiben. Das zehrt an den Nerven, sowohl bei uns als auch bei den Kund*innen. Teilweise werden sie immer ungehaltener und haben immer weniger Verständnis dafür. Sie beschweren sich häufig und bestellen dann auch oft online, wenn sie eh auf die Medikamente warten müssen. Das ist eine ziemlich angespannte Situation. Klar, viele Kunden zeigen auch Verständnis, weil sie die Lage kennen. Einige holen sich weit im Voraus ein neues Rezept, um dann eben genug Vorlaufzeit bis zur Lieferung zu haben.
Ein weiteres großes Problem der Apotheken ist, wie in vielen anderen Bereichen auch, der Fachkräftemangel. Dadurch wird nicht nur die Belastung für alle Mitarbeitenden in Apotheken immer höher, sondern immer mehr Apotheken müssen aufgrund von Personalnot schließen. Seit der Jahrtausendwende ist die Zahl der öffentlichen Apotheken in Deutschland um fast 17 % gesunken. Jannika, wie nimmst du den Personalmangel wahr?
Es ist mittlerweile so, dass durch den Personalmangel viele Aufgaben liegen bleiben. Die Aufgaben, die eigentlich unseren Alltag betreffen, sind gar nicht mehr umsetzbar bzw. sind sie mit vielen Überstunden verbunden. Dazu kommt, dass das Arbeitspensum durch bürokratische Geschichten und die Nicht-Lieferbarkeit von Medikamenten immer höher wird. Dadurch, dass alles immer bürokratischer wird und dass viele Medikamente nicht lieferbar sind, ziehen sich die Arbeitsprozesse immer länger hin. Dadurch verlieren wir die Arbeitszeit, die man woanders benötigt. Der Druck wird für das Personal immer größer und viele Kolleg*innen sind dadurch häufiger krank. Man kann einfach nicht mehr, weil man so erschöpft ist.
Wie schätzt du die Zukunft der Apotheken in Deutschland in Zukunft ein?
Wenn es so weiter geht wie jetzt, wird das Apotheken-Sterben immer größer und die ordnungsgemäße Versorgung der Gesellschaft, vor allem in den ländlichen Gebieten, wird immer schlechter. Aktuell ist es so, dass von Jahr zu Jahr immer mehr Apotheken für immer schließen. Das geht einfach nicht. Die Bevölkerungsdichte nimmt immer weiter zu, die Leute müssen immer weiter bis zur nächsten Apotheke fahren und können dann im schlimmsten Fall die Medikamente nicht mal bekommen.
Wenn’s so weiter geht, dann sieht es wirklich ganz dunkel aus. Dann verteilen sich die Apotheken auf bestimmte Ballungsgebiete und lange Anfahrtswege und man muss Wartezeiten in Anspruch nehmen. Dadurch baut sich der Onlinehandel immer weiter aus, was aber für die Leute vor Ort, die sich eine persönliche Beratung wünschen, nicht ideal ist. Auch wirkt sich der Onlinehandel generell negativ auf die ganzen örtlichen Apotheken aus. Die Online-Konkurrenten haben einen viel größeren Absatzmarkt und viel günstigere Preise. Dadurch können wir vor Ort, in den öffentlichen Apotheken gar nicht mehr mithalten. Da muss die Politik definitiv einen Schritt Richtung Zukunft machen und was ändern. Das betrifft sowohl die Medikamentenversorgung und als auch die Vergütung, die seit Jahren keine Anpassung genoß.
Und was wünschst du dir von der Regierung?
Die Regierung muss dafür sorgen, dass wir Richtung Zukunft gehen und dass alle Menschen deutschlandweit weiterhin ordnungsgemäß mit Medikamenten versorgt werden können. Alle Medikamente, die benötigt werden, müssen da sein und dürfen nicht exorbitant teuer sein, sondern bezahlbar. Die Menschen müssen das bekommen, was sie brauchen, um gesund zu werden. Ebenso muss das Apothekenpersonal entlastet werden. Die ganze Bürokratie, die immer mehr wird, muss verringert und leichter gemacht werden, sodass wir wieder Pharmazeuten sein können. Wir sind Pharmazeuten und machen das auch am liebsten, was unsere eigentliche Arbeit ist und die Bürokratie kommt auf unsere Arbeit obendrauf hinzu. Das ist nicht das, was wir wollen und brauchen. Es muss definitiv einfacher werden. Ich rede mich da in Rage, das Thema macht mich echt sauer. Es ist einfach schwierig. Es muss sich so viel ändern.
Auf das Apotheken-Sterben und Geschäftshemmnisse aufmerksam machen
Umfragen zeigen, dass die wachsende Bürokratie neben den Lieferengpässen und dem Mangel an pharmazeutischen Arbeitskräften eines der häufigsten Faktoren für Geschäftshemmnisse in Apotheken ist. So ist auch der Aufruf nach Maßnahmen zum Bürokratieabbau ein Punkt des 10-Punkte-Forderungskatalogs der ABDA an die Bundesregierung. Dr. Hans-Peter Hubmann, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbandes (DAV), bemängelt zudem, dass es seit über 10 Jahren keine Gehaltsanpassungen in der Branche gab. Auch die seit Jahren bestehende Unterfinanzierung öffentlicher Apotheken trägt zur aktuellen Situation bei. Dr. Hans-Peter Hubmann plädierte daher an alle Kolleg*innen sich am Protest zu beteiligen, um der Gesellschaft und der Politik die aktuelle Lage und die fatalen Auswirkungen des Apotheken-Sterbens bewusst zu machen. Auch Gabriele Regina Overwiening, Präsidentin der ABDA, betont, dass man seit Monaten über verschiedene Wege versucht, auf die Lage der Apotheken aufmerksam zu machen.
Nun bleibt es zu hoffen, dass der Protest eine positive Veränderung der schwierigen Lage der Apotheken bewirkt und alle Menschen in Deutschland in Zukunft mit Medikamenten versorgt werden können.