GEMEINSAM AUF DER ZIELGERADEN – Abschlussarbeiten bei ROSEN
29. Dezember 2021Von einer langen Suche zum Glück
18. Februar 2022Ein Tag mit einer Krankenschwester
Disclaimer: Die Interviewte Person ist noch ausgebildete Krankenschwester. Es gibt noch viele „Krankenschwestern“ in Deutschland. Inzwischen heißt der Beruf „Gesundheits- & KrankenpflegerIn„.
„Holt mich endlich jemand aus meiner Scheiße? Ich klingele mir die Finger wund und kein Mensch kommt!“
Sonntagmorgen, 6 Uhr. Krankenschwester Anke betritt ihre Station zur Frühschicht und löst die zwei Nachtschwestern ab. Bereits jetzt hört sie das Piepen der Klingeln, sieht rote Lampen leuchten. Das Dienstzimmer ist leer, ihre KollegInnen scheinen noch ihre letzte Runde in den Patientenzimmern zu machen. „Der Personalmangel, beeinflusst nicht nur die Pflege der PatientInnen, sondern auch die Stimmung im Team – jeder lässt etwas für die nächste Schicht liegen. Natürlich nicht mit böser Absicht, sondern weil es nicht zu schaffen ist. Trotzdem zerrt es an unseren Nerven!“ sagt Schwester Anke. Sie liebt ihren Job, aber möchte nicht mehr länger über die schrecklichen Zustände in Krankenhäusern schweigen.
Und so auch heute. Hektisch und völlig außer Atem kommt ihr die Nachtschicht entgegen. „Ich war die halbe Nacht allein, Birgit hat sich mit einem dicken Virus verabschiedet.“. Für Schwester Anke ist klar was das bedeutet: Es ist noch mehr liegen geblieben als sonst, die PatientInnen werden sich vernachlässigt fühlen und es an ihr auslassen. Schnell schaut sie auf den Dienstplan, mit wem sie heute arbeiten muss und ihre Hoffnung alles zu schaffen, sinkt weiter: Schwester Monika und Schülerin Jana. Aus dem ersten Lehrjahr. Sie ist eine ganz Liebe und sie macht gute Arbeit, aber beibringen können die zwei Schwestern ihr heute sicher nichts.
Der erste Patient
„Wir brauchen dringend neue Gesundheits- und KrankenpflegerInnen und versauen es uns selbst. Da finden sich tatsächlich noch junge motivierte Leute, die sich für unseren Job entscheiden und wir haben keine Zeit ihnen etwas beizubringen, sondern schmeißen sie ins kalte Wasser. Entweder sie lernen allein dadurch zu kommen oder sie brechen ab. So läuft es hier leider und es tut mir im Herzen weh.“
Doch in diesem Moment lässt sich die Situation nicht ändern, die PatientInnen warten. Nach der Übergabe gehen sie los, Schülerin Jana geht mit der examinierten Krankenschwester Anke. Zuerst geht es zu den „aufwendigen PflegepatientInnen“, wie sie hier wohl genannt werden. In Zimmer 7 liegt ein alter Herr, er begrüßt die beiden nicht mit einem „Guten Morgen“, sondern ruft entsetzt: „Holt mich endlich jemand aus meiner Scheiße? Ich klingle mir die Finger wund und kein Mensch kommt!“. Solche Reaktionen von PatientInnen sind üblich und auch völlig verständlich für Schwester Anke. Den Menschen geht es schlecht, deswegen kommen sie her. Und im Krankenhaus geht es ihnen noch schlechter, weil sich niemand angemessen kümmern kann – „Das ist doch paradox!“, stimmt auch Schülerin Jana zu.
Der Patient von Zimmer 7 bekommt heute ein Verwöhnprogramm, auch wenn dafür keine Zeit ist. Ihm werden die Beine eingecremt und die beiden sprechen sehr viel mit ihm. Sie müssen sein Gemüt beruhigen und geben ihr Bestes, dass er den Vorfall aus der Nacht irgendwie vergisst. Doch nach 15 Minuten müssen sie weiter – wer weiß, wer noch so „in seiner Scheiße“ liegt, wie der Herr es so schön ausgedrückt hat.
Der Tod ist näher als gedacht
Gerade in Zimmer 12 angekommen, kommt es noch schlimmer. Die alte Dame antwortet nicht. Sie liegt in ihrem Bett, doch ihre Augen sind offen. Schwester Anke schaut ihre Schülerin an, sie wird kreidebleich. Für Jana ist es die erste Leiche in ihrer Ausbildung, das wird der Schwester schnell klar. Sie möchte ihr gerade anbieten, dass sie rausgehen kann und sie sich um alles weiteres kümmert, da sagt Jana schon: „Alles gut, ich hatte nur nicht damit gerechnet. Gestern in der Spätschicht schien es ihr noch zu gut zu gehen. Wir können sie versorgen, irgendwann muss ich da ja durch!“.
Es wird deutlich, dass eine solche Versorgung für die Gesundheits- und KrankenpflegerInnen sehr anstrengend ist – physisch wie psychisch. Doch auch das gehört zu dem Job dazu und wenn der Arzt nach einiger Zeit den Tod bestätigt hat, werden die Toten in die Leichenhalle gefahren. Doch trotzdem sind da noch die Angehörigen. Sie haben meistens so viel Fragen, suchen Trost oder wollen sich einfach noch einmal bedanken.
Diesen Dank der Angehörigen von der Dame aus Zimmer 12 kann Schwester Anke heute keinesfalls annehmen. Sie fühlt sich schlecht. Sie möchte nicht wissen, wie lange die Dame da lag. Und sie möchte schon gar nicht daran denken, wie verzweifelt sie war, als sie allein sterben musste. Als niemand ihre Hand hielt, während sie ihre letzten Atemzüge nahm.
„Als ich den ersten toten Menschen sah, wäre ich am liebsten rausgerannt. Ich war völlig überfordert, versuchte alles, um nicht umzukippen. Nicht, weil ich mich davor ekel, sondern einfach, weil es so unrealistisch war. Doch ich traute mich nicht, es auszusprechen. Ich bin erst seit kurzem auf dieser Station und möchte mein Bestes geben. Und so wollte ich Schwester Anke helfen, diese Dame zu versorgen.“ gibt Schülerin Jana später zu.
Für Schwester Anke ist dieses Geständnis ganz schlimm. Wirkt sie auf den Nachwuchs, als müssten sie immer ihr Bestes geben? Als müssten sie schon alles können und wie Maschinen arbeiten? Das ist doch genau das, was sie nicht möchte. Sie möchte für sie da sein, sie möchte ihnen etwas beibringen und niemals Druck ausüben.
Prioritäten für das eigene Gewissen
Nach dem späten Frühstück um 11:30 Uhr stehen noch einige kleine Aufgaben an, der Papierkram ist mal wieder liegen geblieben. Aber das ist gerade egal. Hauptsache alle PatientInnen sind versorgt, auch wenn die Leitung das ganz anders sehen wird. Schwester Anke und Schülerin Jana haben ausgiebig über den Tod der alten Dame gesprochen, die Zeit haben sie sich genommen. Sie wirken beide ausgelassener. Jana bedankt sich bei Anke, dass sie sie so gut aufgefangen hat und sie nun keine Angst mehr vor solchen Situationen haben muss.
Für dieses Gefühl lässt Schwester Anke gerne den Papierkram liegen. Sie setzt mittlerweile ihre eigenen Prioritäten, wenn die Leitungen und die Politik das nicht schaffen:
„Wenn die Politik nicht bald etwas gegen den Personalmangel unternimmt und einiges ändert, dann werden wir untergehen. Aber solange wir es schaffen, hoffe ich, dass alle KollegInnen ihre eigenen und richtigen Prioritäten setzen. Damit wir SchülerInnen wie Jana nicht verlieren. Und damit der Nachwuchs merkt, dass man mit dem Herzen so viel mehr bewegen kann, als mit dem Gedanken, dass die Leitung ihr Geld verdienen will. Denn darum geht es hier nicht – es geht um Menschenleben, Gefühle und Individualität!“