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9. Dezember 2022Fußball-WM 2022: Schon vor Anpfiff verloren
Die Weltmeisterschaft ist eigentlich die schönste Zeit im Jahr für viele Fans. In diesem Jahr ist es anders. Die Fußball-WM in Katar ist das Ergebnis von Korruption, Ausbeutung und strategischer Täuschung. Ein Überblick, warum dieses Turnier ein großes Problem ist.
Bereits im Jahr 2010 bei der Vergabe der Fußball-WM in das Emirat am Persischen Golf lief nicht alles sauber. In jeder Wahlrunde, bei der immer die Kandidatur mit den wenigsten Stimmen ausscheidet, bis jemand eine absolute Mehrheit erzielt, bekommt Katar die meisten Stimmen. Am Ende läuft es auf einen Showdown zwischen der katarischen Bewerbung und der aus den USA hinaus. Die letzte Hürde. Um sie sicher zu nehmen und nicht auf den letzten Metern vor der Ziellinie doch noch zu stolpern, geht das katarische Organisationskomitee auf Nummer sicher: Drei afrikanische Abgeordnete des FIFA-Exekutivkomitees sollen mit 1,5 Millionen US-Dollar für ihre Stimme bestochen worden sein.
Fußball als Staatsangelegenheit
Ebenfalls gab es einige Tage vor der Wahl ein Treffen zwischen dem damaligen französischen Präsidenten Sarkozy, dem Sohn des katarischen Emirs und Ex-Profi und UEFA-Präsident Michel Platini. Dabei soll ein Deal ausgehandelt worden sein: Katar beteiligt sich finanziell schwergewichtig in Frankreich, kauft unter anderem den Lieblingsklub des Präsidenten – Paris Saint-Germain. Im Gegenzug stimmt Platini für Katar als WM-Gastgeber und überzeugt auch einige seiner europäischen Kollegen von der UEFA davon, ihre Stimme an den Golf zu geben.
Am Ende setzt sich Katar mit 14 zu 8 Stimmen gegen die USA durch. Dabei wurde die Bewerbung Katars auch FIFA-intern als die objektiv schlechteste bewertet. Im Vergleich zu den Mitbewerber-Nationen USA, Japan, Südkorea und Australien verfügt Katar über die schlechteste Fußball-Infrastruktur – sie ist im Grunde genommen nicht präsent. Die meisten der Stadien und auch sogar der Städte, in denen sie Spiele stattfinden sollen, werden erst in den kommenden Jahren aus dem sandigen Boden gestampft.
Ausbeutung bis zum Tod
Es ist wohl der größte Kritikpunkt an diesem abstrusen Turnier: Mehrere Tausend Gastarbeiter aus anderen asiatischen Ländern, vor allem aus Nepal und Indien, sind für die Konstruktion der Arenen verantwortlich. Sie schuften hart in der Hitze und werden doch ausgebeutet – von einem der reichsten Länder der Welt. In menschenunwürdigen Bedingungen leben sie eng in Arbeitslagern und bekommen teils über Monate hinweg kein Geld. Sie sind quasi Sklaven Katars und der FIFA. Auf den Stadion-Baustellen kommen viele ums Leben.
Sie kehren nicht in ihre Heimat zurück, ihre Familien wissen meist nicht die wirkliche Todesursache. Oft wird in den Sterbedokumenten einfach ein Herzstillstand oder „natürlicher Tod“ angegeben. Der britische „Guardian“ spricht von 6.500 Opfern, andere Quellen wie Amnesty behaupten 15.000 Todesfälle. Die FIFA selbst sagt aus, dass auf den Baustellen lediglich drei Gastarbeiter gestorben sind. Es ist aber davon auszugehen, dass der Weltverband lügt. Womöglich kommen die meisten ums Leben, weil sie von den Baugerüsten fallen oder die Hitze in der Wüste bei der harten körperlichen Arbeit nicht aushalten können. Passenderweise fand das Eröffnungsspiel zwischen Gastgeber Katar und Ecuador am Totensonntag statt. (Ecuador gewann gegen eine überforderte katarische Mannschaft mit 0:2. Die meisten der einheimischen Zuschauenden verließen schon vor Abpfiff das Stadion.) Wenn es bei dieser WM ausgehend von 6.500 Gestorbenen für jeden von ihnen eine Schweigeminute geben würde, dann wäre es das ganze Turnier über still.
Wegen den klimatischen Bedingen auf der arabischen Halbinsel findet die Fußball-WM zu diesem ungewöhnlichen Zeitpunkt im Winter der Nordhalbkugel statt. Es ist im Sommer einfach viel zu heiß zum Fußball spielen. Da ist es natürlich sehr sinnvoll, genau dann das größte Turnier zu veranstalten. Selbst die Einheimischen verbringen die Tage wenn möglich nur drinnen. Aber auch im November und Dezember hat es in Doha noch seine 30 Grad. Also sind die Stadien mit Klimaanlagen ausgestattet, um es wenigstens etwas erträglich zu machen. Die Stadien, von denen die meisten nach dem Turnier wieder rückgebaut werden, weil es in Katar keine Verwendung für sie gibt. Clever.
Fußball-WM in einem Land ohne Fan-Kultur
Die Fußball-WM ist die Krone einer jahrelangen Strategie, die die Herrscherfamilie des Emirats sehr aufwendig verfolgt. Es ist eine Strategie, bei der Katar den Sport nutzt, um sich Einfluss in der westlichen Welt zu sichern und ein positives Bild von sich zu erzeugen. Katar ist Meister im sogenannten Sportswashing. Sie starteten große Bemühungen, wichtige Sportveranstaltungen ins Land zu holen: Von Box- und Reitwettkämpfen bis hin zur Formel 1 oder den Leichtathletik-Weltmeisterschaften. So ziemlich jede Sportart war schon einmal in Doha zu Gast.
Dass die WM in Katar stattfindet, wäre weniger ein Problem, wenn es dort eine echte Fußball-Kultur geben würde. Gibt es aber nicht. Spiele in der ersten einheimischen Liga finden vor nahezu leeren Rängen statt. Viele Kataris schauen sicherlich gerne Fußball, das kann man ihnen nicht absprechen. Sie interessieren sich aber nicht für die eigenen Spieler und Mannschaften, sondern verfolgen vor allem die großen europäischen Wettbewerbe – die Ligen aus England, Spanien, Italien, Frankreich und Deutschland. Sie gehen nicht ins Stadion, sondern sitzen zuhause in gekühlten Räumen vor dem Fernseher. Die Geschlechter sind dabei streng getrennt, Frauen dürfen nicht mitgucken. In einer Doku des ZDF zeigt Khalid Salman, WM-Botschafter und ehemaliger Nationalspieler Katars, wie das aussieht: Zusammen mit seinen männlichen Freunden sitzt er in der Runde und die Herren lassen sich von ausländischen Frauen bedienen.
Gezielte Jagd auf Schwule
Salman ist es auch, der anschaulich zeigt, was ein großes Problem daran ist, dass Katar diese Fußball-WM ausrichtet. Im Gespräch mit Moderator Jochen Breyer, das ein FIFA-Pressesprecher kurz vorher abbrechen wollte, kommt Khalid Salman richtig ins Erzählen und eröffnet von sich aus das Thema Homosexualität. Er sagt, dass für ihn als Muslim Schwule „haram“ seien, also eine Sünde, die nach der islamischen Scharia verboten ist. Homosexualität ist in Katar verboten und steht unter der Todesstrafe. Daher haben viele queere Personen verständlicherweise Angst, sich während des Turniers im Land zu bewegen.
Es gibt Berichte darüber, wie schwule Männer gezielt verfolgt und vergewaltigt werden – eine Schande für ein Land, das ein globales Sportturnier ausrichtet. Kurz vor WM-Beginn ist Bundesinnenministerin Nancy Faeser bereits in Doha gewesen und hat von dort eine „Sicherheitsgarantie“ für homosexuelle deutsche Fußballfans mitgebracht. Diese Garantie gab ihr der Staatsmann hinter verschlossener Tür, eine öffentliche Zusage wollte der Emir in dieser Sache nicht abgeben. Dass es so eine Sicherheitsgarantie überhaupt braucht, ist eine Schande. In den FIFA-Statuten steht, dass sich der Weltverband gegen jede Art von Diskriminierung positioniert.
Journalismus bitte nur nach Absprache
Auch in Sachen Pressefreiheit ist Katar kritisch zu betrachten. In einem aktuellen Ranking belegt das Land den 119. Platz weltweit. Medien, die vor Ort berichten wollen, werden von der Landung an begleitet und bekommen genaue Vorgaben, wo und was sie filmen dürfen. Beispielsweise sind etwa die Wohnungen der Einheimischen tabu und auch natürlich mit den Gastarbeitern darf nicht gesprochen werden. Es wurde sogar ein dänisches Kamerateam, das auf einem öffentlichen Platz in Doha drehte, belagert und dazu aufgefordert, die Aufnahmen zu beenden. Der Staat und die FIFA wünscht sich keine kritische Berichterstattung über das Turnier – nicht von den Medien und schon gar nicht von Seiten der Fußballverbände. FIFA-Präsident Gianni Infantino verschickte ein paar Wochen vor Turnierbeginn einen Brief, in dem stand, dass sich die Länder doch bitte nicht „in jeden ideologischen und politischen Kampf“ einmischen sollten.
Die Fußball-WM als perfekte Inszenierung
Für Katar ist die WM ein sehr teures PR-Mittel. Natürlich ist es grundsätzlich nicht schlecht, so eine Veranstaltung groß zu bewerben und medial zu begleiten – beim Wüstenstaat gibt es aber eben diesen extremen Beigeschmack. Mal ein kleiner Blick auf das PR-Potpourri: Für überlieferte 180 Millionen US-Dollar ist Ex-Profi David Beckham das größte Werbegesicht der WM. Der Engländer findet aufgrund dieser Geld-Karawane alles „amazing“, was in Katar passiert. Kritische Stimmen hört man von ihm nicht.
Beeindruckt vom Land sind auch die US-YouTuber von „Dude Perfect“, die mit über 58 Millionen Abonnent*innen der größte Sport-Kanal sind. Sie dürfen gesponsert von der katarischen Tourismusbehörde eine Bucket List in der World-Cup-Edition abarbeiten, bei der sie unter anderem auch alle Stadien der Fußball-WM besuchen. Für diese Zusammenarbeit werden Dude Perfect mit Hunderttausenden von Dislikes und negativen Kommentaren „belohnt“. Aufgrund dieser Reaktion ändern sie kurzerhand den Titel des Videos und haken nun nur noch eine Liste von coolen Dinge in der Wüste ab, die offensichtliche Verbindung zu Katar verschwindet.
Fan sein gegen Geld
Neben Ikonen wie Beckham sind auch die Fans ein wichtiger Faktor für die Selbstdarstellung Katars. Da die Begeisterung der ausländischen Anhänger dieses Jahr nicht so stark ist wie sonst, wird etwas nachgeholfen. Katar hat aus jeder teilnehmenden Nationen eine kleine Gruppe von Fans ausgewählt sie als sogenannte „Fan Leader“ eingekauft. Sie mussten einen Vertrag unterschreiben und zusichern, auf Social Media positiv über das Turnier und das Land zu berichten. Im Gegenzug bekommen sie ihre Reise nach Katar komplett bezahlt. Wie praktisch für sie, denn Unterkünfte während der Fußball-WM in Doha sind sehr knapp und dementsprechend teuer. Deswegen hat der DFB sein offizielles Fan-Quartier im 375 Kilometer entfernten Dubai eingerichtet und lässt die Mitglieder des Fanklubs von dort aus mit Chartermaschinen über den Golf hinweg einfliegen.
Katar kauft nicht nur Fans aus dem Ausland ein, auch die Locals werden für die Inszenierung genutzt. Sie verkleiden sich in großen Gruppen als Fan einer bestimmten Nation und laufen dann in „Fanmärschen“ durch die Stadt und machen „Stimmung“ und liefern PR-Material für die Veranstalter. Auch hier sind es wieder nur Männer, die unterwegs sind. Frauen dürfen nicht mitmachen und ihre Begeisterung faken .
Eine Niederlage für alle
Die Fußball-WM in Katar zeigt eindrucksvoll, wie kaputt das System ist und welch starken Einfluss das Geld und das Land an sich hat. Für das Emirat soll es die größtmögliche Bühne sein, um sich der Welt als moderne und sportbegeisterte Nation zu präsentieren. Dabei ist es aber recht offensichtlich nur eine sehr, sehr teure Werbeveranstaltung, die auf Kosten von Tausenden Toten stattfindet. Katar mag reich sein; ein Land, das die grundlegenden Werte des Fußballs vertritt und fördert, ist es definitiv nicht. Der Fußball, wie viele Fans ihn lieben und erhalten wollen, hatte schon vor dem Anpfiff des ersten Spiels verloren.