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19. Juni 2024Abenteuer USA: Mein Auslandssemester in Florida
15. Juli 2024Die Phasen eines Auslandssemesters
Mein vergangenes Semester habe ich in Schweden verbracht. Im Vorhinein habe ich online viel Content konsumiert, der mir Insights aus den Erlebnissen eines Auslandssemesters zeigt. Hierzu ein kurzer kritischer Kommentar: Wie die sozialen Medien so sind, bestanden diese Beiträge aus größtenteils stark positiven Einsichten. Das verzerrt die Erwartungen und schafft unrealistische neue, die man an seine eigenen Erfahrungen stellt. Mit der Erwartung, sich mit jedem Menschen zu befreunden, lassen sich jedoch nur schlecht ehrliche Freunde finden. Und auch die Erwartung, jeden Tag etwas Neues bewegendes zu erleben, ist schlicht unrealistisch.
Gerne hätte ich mir nicht nur einen umfassenden Überblick über den Verlauf eines Auslandssemesters gewünscht, sondern auch einen, der dieses nicht als revolutionäre, weltbewegende Reise darstellt. Nach meinem Gefühl wird daraus nämlich manchmal etwas Größeres daraus macht, als es ist – und, besonders, als es sich zwischendurch anfühlt. Dieser Artikel soll also für alle Leute sein, die diese Wünsche teilen. Gleichzeitig möchte ich den ersten Eindruck des Artikels ausbalancieren und festhalten, dass die Zeit, die man im Ausland über diesen langen Zeitraum verbringt, in jedem Fall sehr eindrücklich und schön sind. Sie bringen einem durch das neue Umfeld einiges über sich selbst beibringt.
Der Ablauf eines längeren Aufenthaltes in einer anderen Kultur lässt sich im Allgemeinen wie folgt visualisieren:
Honeymoon-Phase
Am Anfang stehen all die positiven Gefühle. Die Vorfreude hat ein Ende, man ist endlich im Ausland angekommen, hat die Wohnung bezogen und wartet nun auf den ersten Willkommenstag. An diesem kann man dann die vielen neuen Menschen kennenlernen, die sich genau da befinden, wo man selbst steht. Die Erwartungen an die bevorstehende Zeit sind hoch.
Ich erinnere mich noch sehr gut an diese erste Zeit. Es ist toll, am Anfang so viele Menschen zu treffen und mit vielen von ihnen ins Gespräch zu kommen. Natürlich sind auch die ersten Eindrücke von der Umgebung sehr beeindruckend. Allein und auch mit Freunden habe ich viele Spaziergänge und Wanderungen unternommen und die Zugfahrten genossen, bei denen ich so lang wie möglich die vorbeiziehenden Landschaften genoss. Es hat mir auch viel Spaß gemacht, Dinge zu erkunden, mit Menschen zu sprechen und mehr über Schweden zu erfahren. Viele Erfahrungen waren auch neue Erkenntnisse, die sich sehr groß anfühlten.
In dieser Phase hat mich außerdem noch eine Freundin zu meinem Auslandssemester interviewt – das könnt ihr hier lesen!
Kulturschock-Phase
In der zweiten Phase, dem Kulturschock, kann es zu einer kognitiven Erschöpfung kommen, weil man sich mit diesen neuen Dingen auseinandersetzen muss. Dies geschieht meist nach etwa 2–3 Monaten. Die Unterschiede, die anfangs so aufregend und anregend waren, können nun sehr nervenaufreibend wirken. Die neue Umgebung kann nach einer Weile anstrengend sein, weil das Vertraute nicht mehr da ist. Wo die neue Sprache anfangs interessant klang und das Kennenlernen der Kultur Spaß machte, kann man sich indessen isoliert fühlen. Auch das alltägliche Miteinander kann schwieriger werden: Die Rolle als Studierende und die damit verbundenen Pflichten und Rechte können im Ausland ganz anders sein als im eigenen Heimatland.
Man merkt auch, dass die Erwartungen, die man an das Land, die Umgebung und an sich selbst hatte, nicht unbedingt mit den tatsächlichen Gegebenheiten übereinstimmen. Das muss nicht unbedingt etwas Schlechtes sein, aber es kann sich in dieser Phase so anfühlen und entsprechend auf einen auswirken.
Diese Phase habe ich auch durchgemacht. An der Universität, an der ich in Schweden war, habe ich einen Artikel über falsche Erwartungen geschrieben. Ich hatte das Gefühl, dass meine Erwartungen zu hoch waren, und verglich meine Erfahrungen mit denen anderer. Das wurde sehr anstrengend und hat mir einen Teil des Spaßes genommen. Es machte in dieser Phase auch nicht mehr viel Spaß, mit Familie oder Freunden aus Deutschland über meine Auslandssemester zu sprechen. Ich fühlte mich schuldig und peinlich berührt, dass meine Zeit nicht ideal verlief. Um diese Phase so kurz wie möglich zu halten, kann ich stattdessen Folgendes empfehlen:
Erkennen der Phasen
Es kann hilfreich sein, sich die Phasen der kulturellen Anpassung bewusst zu machen und zu erkennen, dass es normal ist, einige schwierige Gefühle zu erleben. Es hilft auch, sich vor Augen zu halten, was man bereits erlebt hat.
Verbindungen wiederherstellen
Während des Auslandssemesters ist es für viele das Ziel, internationale Bekanntschaften zu schließen. Zu diesem Zweck halten viele absichtlich Abstand zu Freunden und Familie im Heimatland. In der Phase des Kulturschocks kann es jedoch sehr hilfreich sein, sich an Freunde zu wenden und Kontakt zur Familie aufzunehmen.
Manchen Menschen kann es auch helfen, den Kulturschock zu überwinden, indem sie sich mit der Kultur, in der sie sich befinden, besser vertraut machen. Dazu gehört z. B. das Erlernen der Sprache, der Geschichte oder der Traditionen. Man kann versuchen, wie zu Beginn wieder aufmerksam und neugierig durch seine Umgebung zu gehen und neue Dinge kennenzulernen.
Geduldig sein
Das Aufschreiben von Gefühlen kann helfen zu erkennen, was einen gerade beschäftigt oder wie groß die einzelnen Probleme sind, mit denen man (tatsächlich) gerade konfrontiert ist. Dazu kann auch gehören, persönliche Ziele aufzuschreiben und konkrete Pläne zu machen, um sie zu erreichen. Im Grunde ist es in Ordnung, positiv zu bleiben und die Dinge langsam anzugehen.
Anpassungsphase
In dieser letzten Phase der Erholung und Anpassung nimmt die eigene Motivation wieder zu. Es ist tatsächlich sehr wahrscheinlich, dass sich das eigene Selbstbild verändert hat, da man viel Zeit in einem neuen und kulturell sehr diversen Umfeld befunden hat und damit neue Vergleichspunkte zu sich selbst findet. Deshalb ist das Auslandssemester so oft mit einer gefühlten persönlichen Veränderung verbunden. Man erkennt mehr Dinge an sich und ordnet bereits bekannte Dinge neu ein.
Ich persönlich habe das Gefühl, dass ich Schweden verlassen musste, als es sich am besten anfühlte. Nachdem ich das Tief überwunden hatte, habe ich mich darauf konzentriert, die letzten Wochen des Auslandssemesters so gut wie möglich zu nutzen. Zudem sind die Freundschaften, je länger sie andauern, auf einem intensiveren Level. Man hat sich nun angepasst und eingelebt, eine so abrupte Verabschiedung ist dann natürlich störend.
Meine Ankunft in Deutschland
Zurück in Deutschland fiel ich unfassbar schnell in meine alten Routinen zurück. Das Auslandssemester war wie ein Traum, mit einigen Konsequenzen (Freunden, mit denen es über den wiedergefundenen Alltag gilt, den Kontakt aufrecht zu halten).
Es kann außerdem dazu kommen, dass man sich etwas isoliert von den „alten“ Freunden fühlt, da diese mit den Erlebnissen der vergangenen Zeit nicht mitfühlen können.
Natürlich kann die Kurve der Zeit im Auslandssemester für jeden anders aussehen. Es ist sehr interessant, über das Erlebte und Gelernte zu reflektieren, und die Erfahrungen im Ausland bieten in jedem Fall neue Perspektiven.
Quellen und Credits:
Abbildung: entnommen von: https://www.sonia-jaeger.com/de/die-phasen-der-kulturellen-anpassung/ – angelehnt an: Hofstede, G. and Hofstede, G.J. (2005) Culture and Organizations—Software of the Mind: Intercultural Cooperation and its Importance for Survival. 2nd Edition, McGraw Hill, New York.
Titelbild: Anna Baumbach
Foto: Anna Baumbach