„Kurz mal nachgedacht…“
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7. Januar 2023Langeweile und Stromströße
Geschenke einkaufen, Festessen planen, überlegen, welche Verwandtschaft an welchem Feiertag besucht wird – für viele Menschen ist die Weihnachtszeit nicht nur mit Besinnlichkeit, sondern vor allem auch mit Stress verbunden. Langeweile kommt da sicher nicht auf. Und das, obwohl sich in der Weihnachtszeit viele Menschen nach Ruhe und Besinnlichkeit sehnen. Doch in der heutigen Zeit gerät die wahre Bedeutung von Ruhe und Langweile häufig so weit in Vergessenheit, dass für manche Menschen Stromstöße angenehmer als Stille sind.
Unser Ruhebedürfnis
Der Mensch braucht Ruhe – manche mehr, manche weniger, doch ein physiologisch messbares Ruhebedürfnis ist bei jedem vorhanden. Immerhin nimmst du in kurzer Zeit sehr viele Sinneseindrücke auf. Diese wollen und müssen in irgendeiner Form verarbeitet werden. Deshalb ist es essenziell, dass du dich regelmäßig zurückziehst und dafür sorgst, dass du dich regenerieren und die gesammelten Eindrücke aufarbeiten kannst.
Tust du das nicht, werden dich dein Körper oder deine Seele wahrscheinlich zur Ruhe zwingen. Denn dauerhafte Reizüberflutung kann nicht nur zu Stress und Verausgabung führen, sondern uns auch langfristig krank machen. So haben Forscher der Universität Trier herausgefunden, dass besonders stark gestresste und erschöpfte Menschen, die eigentlich Erholung am nötigsten hätten, häufig über Poststress-Symptome klagen: An ruhigen Tagen wie im Urlaub oder an Feiertagen liegen sie krank im Bett, z. B. mit Migräne oder Rückenschmerzen.
Langeweile – das leere Wort
Immer mehr Menschen berichten, dass sie sich überfordert fühlen. Das Tempo, mit dem Sinneseindrücke auf uns einprasseln und die Schnelligkeit, mit der Arbeitsabläufe dank der Technik gestaltet werden können, hat sich in den letzten Jahrzehnten ständig gesteigert.
Viele Menschen bekommen das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen oder einen triftigen Grund zu benötigen, wenn sie Rückzug und Stille brauchen. Der französische Soziologe Frédéric Lenoir beschreibt dieses Gefühl ziemlich passend mit dem Satz: „Wir haben Angst vor den Momenten völliger Entspannung, weil wir sie als verlorene Zeit empfinden“.
Aber wenn du Ruhe brauchst, dann ist das ein ausreichender Grund, sie dir zu gönnen!
Vielleicht hast du verlernt, Ruhe zu „ertragen“, geschweige denn zu genießen. Viel zu oft ertappe ich mich selbst dabei, wie ich bei dem kleinsten Anzeichen von Langeweile nach meinem Handy greife, um das Gefühl des „Nichtstun“ zu verdrängen. Und so geht es sicherlich nicht nur mir, sondern vielen Menschen. Besonders in meiner Generation, die mit dem konstanten Zugang zum Internet aufgewachsen ist und sich so lange von Instagram, Facebook & Co berieseln lassen kann, bis Langeweile nur noch ein leeres Wort ist.
Wenn Stromstöße angenehmer als Stille sind
So sind für manche Menschen sogar Stromstöße angenehmer als Ruhe, wie ein amerikanisches Experiment zeigt.
Der Psychologe Timothy Wilson von der „University of Virginia“ bat die Teilnehmer*innen seines Experimentes, etwa 400 viel beschäftigte College-Studenten, sich für eine Viertelstunde in Ruhe in einen leeren Raum zu setzen. Die einzige aktive Möglichkeit, sich zu beschäftigen, war, sich selbst per Knopfdruck Stromstöße zu verpassen.
Wilson dachte nicht ernsthaft, dass die Probanden diese Möglichkeit nutzen würden. Die meisten Teilnehmer*innen hatten bei einer Probe-Elektroschock-Runde den Stromstoß als unangenehm eingestuft. Außerdem bekamen sie Geld dafür, falls sie die Langeweile aushielten. Doch für zwei Drittel der Männer und für ein Drittel der Frauen war die Stille so unangenehm, dass sie sich freiwillig unter Strom setzten.
Aber warum ist das so?
Vielleicht, weil in Phasen der Ruhe einzelne unangenehme Emotionen hochkommen können. Langeweile ist, obwohl sie schwer auszuhalten ist, sicherlich die harmloseste von ihnen. Auch verdrängter Ärger oder Traurigkeit können aufkommen. Denn in einem leeren Raum ist der Mensch gewissermaßen gezwungen, sich mit seinen eigenen Gedanken auseinanderzusetzen – da sind Stromstöße bei manchen Gedanken anscheinend die angenehmere Art des Zeitvertreibs.
Dabei brauchen wir das „aufgabenunabhängige Denken“, wie es Psychologen nennen. Zeiten, in denen die Gedanken einfach frei wandern können. Das ist der Zustand, den man Ruhe nennen kann.
Dieser sollte nicht als belastend empfunden werden, sondern als gesund und produktiv. Wer sich Zeit zum Grübeln nimmt, dem fliegen schneller innovative Ideen, Geistesblitze und Problemlösungen zu. Ein bisschen Langeweile kann also nie schaden!
In diesem Sinne wünsche ich euch eine entspannte Weihnachtszeit mit vielen
ruhigen Momenten!