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28. Oktober 2024Reform des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks (ÖRR): sparen und zukunftsfähig werden
Reform des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks: sparen und zukunftsfähig werden
Geht das zusammen?
Das Wichtigste der Reform im Überblick
Im September 2024 wurde der Entwurf zur Reform des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks (ÖRR) von den Bundesländern veröffentlicht und zur Diskussion gestellt. Die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) verkündete am vergangenen Freitag, 25.10.2024, die planmäßigen Änderungen. Noch müssen alle Landtage zustimmen, damit die Reform umgesetzt werden kann (Quelle: Deutschlandfunk). Die Änderungen sollen 2025 in Kraft treten. Ziel ist es, die Zahl der Hörfunkprogramme zu reduzieren und (Sparten-)Fernsehsender thematisch zu bündeln (Quelle: Zeit). Die Vorschläge der Länder dürfen jedoch nicht in die redaktionellen Entscheidungen der Sender eingreifen (Rundfunkfreiheit) (Quelle: ZDF).
Die Reform des Öffentich-Rechtlichen Rundfunks betrifft das Radioangebot, die Spartensender (wie Phoenix, tagesschau24, ARD alpha, ZDFinfo, 3Sat und Arte), aber auch die Gestaltung der Online-Angebote auf Drittplattformen (Quellen: Zeit und Deutschlandfunkkultur). Insgesamt könnten 16 Hörfunkprogramme und weitere Fernsehprogramme gekürzt werden. Zudem soll das Angebot an politischen Magazinen (wie „Monitor“, „Panorama“ und „Kontraste“) reduziert werden (Quelle: BR).
Was ändert sich konkret durch die Reform?
Nach dem vorliegenden Vorschlag werden die Sender Phoenix, tagesschau24, ARD alpha und ZDFinfo zu zwei Informationskanälen zusammengefasst. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Schweitzer konnte die Bedenken in Bezug auf den zuvor angedachten Zusammenschluss der Sender 3Sat und Arte ausräumen (Quelle: BR). Arte soll sich dennoch verändern: von einem deutsch-französischen Kanal zu einer europäischen Kulturplattform. Die Angebote der genannten Fernsehprogramme können nach Entscheidung der Rundfunkanstalten weiterhin digital verbreitet werden (Quelle: Deutschlandfunkkultur).
Jede Landesrundfunkanstalt (BR, HR, MDR, NDR, RBB, SR, SWR, WDR) soll nach dem Entwurf nur noch vier Hörfunkprogramme anbieten, es sei denn, sie versorgt mehrere Bundesländer (wie der SWR und der NDR) oder dessen Bundesland mehr als sechs Millionen Einwohner hat (wie beim WDR) (Quelle: BR).
Der neue Kurs der Reform: Sparsamkeit
Der Hintergund dieser Änderungen ist die Ausrichtung an neuen Grundsätzen: Die Rundfunkanstalten sollen sparsam und wirtschaftlich handeln. Diese Ausrichtung bringt die Einführung von verpflichtenden Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen für Investitionen mit sich (Quelle: Zeit). Daher erhalten die Rundfunkanstalten auch keine zusätzlichen Finanzierungen für die erhoffte digitale Veränderung. Die weitere Finanzierung des ÖRR ist noch ungeklärt (z. B. in Form einer Erhöhung des Rundfunkbeitrags). Die Minister streben eine Einigung für das Ende des Jahres 2024 an.
Der ÖRR muss also effizienter und sparsamer, aber auch digitaler und zukunftsfähiger werden. Die Sender sollen hingegen auch auf ihren digitalen Kanälen bedarfsgerecht agieren (Quelle: Zeit).
Heike Raab (SPD-Politikerin) betont im BR24-Interview das Problem, dass der ÖRR derzeit zu wenig junge Menschen erreicht (Quelle: BR). Im Zuge der Reform müsse die Präsentation in Mediatheken und auf Drittplattformen überdacht werden (Quelle: Deutschlandfunkkultur). Eine erste Idee ist eine gemeinsame Online-Plattform von ARD und ZDF. „Wenn man etwas Neues schaffen will, muss man auch mal alte Zöpfe abschneiden“, so Raab (Quelle: BR).
Der ÖRR und Digitalisierung
Die Aktualitätsklausel und das Problem der „Presseähnlichkeit“ hatten in den ersten Entwürfen für die digitale Ausgestaltung der Angebote des ÖRR zu einem Aufschrei geführt. Im Rahmen dieser Aussichten haben Social Media-Kanäle und Aktivisten verstärkt auf die anstehende Reform aufmerksam gemacht.
Nach der Aktualitätsklausel sollten Sendungen, die älter als 14 Tage sind, nicht mehr verfügbar sein (Quelle: Zeit). Die „Presseähnlichkeit“ bezieht sich auf den Rechtsstreit mit Zeitungsverlegern, dass die textbasierten Beiträge zu presseähnlich seien (Quelle: BR). Als Konsequenz hätten die Texte kürzer werden müssen (Quellen: BR und hessenschau.de) und die Social Media-Kanäle hätten erst nach der Berichterstattung im Fernsehen oder Radio über Aktuelles berichten dürfen.
Die Redaktionsleiterin von „BR24 digital“, Gudrun Riedl, sieht diesen Aspekt kritisch, da er „(…) dem Auftrag, die Menschen auf allen Kanälen schnell zu informieren“ widerspreche. Riedl spricht sich besonders für Faktenchecks aus, da diese gerade in Zeiten der Verbreitung von Desinformation und im Sinne des Programmauftrags besonders wichtig seien. Faktenchecks finden sich häufig als Textbeiträge oder Videos in sozialen Medien (Quelle BR).
Die Kritik des ÖRR wurde gehört und die Petitionen von Gruppen wie Campact und inn.it haben Wirkung gezeigt. Es soll eine Positivliste geben, die festlegt, was der ÖRR im Internet veröffentlichen darf (Quelle: Deutschlandfunk). Die Minister bestätigten, dass „weiterhin Texte in Apps und auf Webseiten zu aktuellen Ereignissen, barrierefreie Angebote und Faktenchecks“ für User zur Verfügung stehen (Quelle: BR).
Die Weiterentwicklung des Reformstaatsvertrages soll ohne zusätzliche Finanzierung und mit weiteren Restriktionen umgesetzt werden. Dadurch sind die Landesrundfunkanstalten gezwungen, ihre Kernfunktionen – politische, journalistische und investigative Berichterstattung – zu komprimieren und dadurch die Legitimation des ÖRR aufrecht zu erhalten (Quelle: Deutschlandfunkkultur).
Kritik der WieL-Autorin Sarah Bernhard
Bei der Betrachtung des Reformvorschlags entsteht der Eindruck, er sei allein aus wirtschaftlichen Gründen entstanden. Verbesserte digitalisierte Prozesse scheinen dabei als schöner Nebeneffekt erhofft zu werden, der sich von selbst einstellt. In diesem abschließenden Teil des Artikels soll besonders betrachtet werden, dass die Digitalisierung des ÖRR notwendig ist und nicht „nebenher“ passieren kann. Gerade die jüngere Zielgruppe, die ja erreicht werden soll, greift primär auf die Inhalte des ÖRR über Drittplattformen und Mediatheken auf statt über das lineare Angebot.
Man hat den Eindruck, dass die tatsächliche Notwendigkeit des digitalen Angebots und die gesellschaftlichen Zusammenhänge in und mit den sozialen Medien (seitens der Bundesländer) immer noch nicht verstanden worden sind – man denke hier an Filterblasen und Echokammern. Besonders das Umschwenken der ursprünglichen Forderungen auf einen „guten Kompromiss“ mit den Zeitungsverlegern, verstärkt meinen Eindruck, dass der Druck der Öffentlichkeit notwendig war. Ich freue mich, dass der ÖRR selbst aktiv daran beteiligt war, denn sie haben selbst erkannt, dass sie sich digital deutlich besser aufstellen müssen, um bei der jüngeren Zielgruppe nicht abgehängt zu werden.
Der ÖRR unterliegt einem gesetzlich festgelegten Programmauftrag. Laut des RStV §11 Abs. 1 soll der ÖRR Angebote herstellen und verbreiten und so den Prozess „freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung“ stärken. Damit erfüllen sie die „demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft“ (Quelle: bpb).
In diesem Sinne sollte eine Reform darauf abzielen, wichtige und relevante Informationen für eine digitale Öffentlichkeit zu adressieren und aufzubereiten. Das ist meines Erachtens kein Prozess, der nebenbei läuft. Es ist auch keine Aufgabe, die durch Kürzungen erledigt werden kann. So erfreulich es ist, dass journalistische Formate gefördert werden sollen. Wie Dobusch sagt: „Wenn die Öffentlich-Rechtlichen perspektivisch einen relevanten Beitrag zur Vielfalt unserer demokratischen Öffentlichkeit leisten und damit auch ihre Legitimation erhalten wollen, dann müssen sie auch auf den großen kommerziellen Plattformen präsent sein“. (2)
Eine Positivliste ist sicherlich ein guter Schritt, um diese Präsenz zu erhalten, allerdings weiß die breite Öffentlichkeit noch nicht, wie diese Liste aussieht, was genau erlaubt wird und nach welchen Kriterien das entschieden wird.
Mit Blick auf die Reform stehen die Öffentlich-Rechtlichen nicht mehr nur im Kampf gegen Algorithmen und Plattformisierung, sondern auch in der finanziellen und rechtlichen Zwickmühle des Reformstaatsvertrags.
Plattformisierung heißt …
der gesellschaftliche Bedeutungsaufstieg digitaler Tech-Plattformen (u. a. Google, Facebook) seit den 2010er Jahren und
damit verbunden die Prozess des fortschreitenden Eindringens infrastruktureller und regelsetzender Plattform-Elemente in die Internet-Ökosysteme und die Gesellschaft insgesamt.