DIE GOOD NEWS DER WOCHE
24. April 2021DIE GOOD NEWS DER WOCHE
17. Mai 2021Warum man(n) und Frau gendern muss.
„Bist du jetzt auch so eine nervige Feministin?“
Feminismus nervt. Feminismus nervt, weil er recht hat. Weil er normalisierten Sexismus nicht weiterhin lautlos passieren lässt, wie ungeladene Gäst:innen vorbei an Türsteher:innen. Wie Plastikmüll am Straßenrand, an dem täglich Spazierende vorüberschreiten, naserümpfend Fußspitzen daran tippen, um dann schulterzuckend eigenen Problemen hinterherzugehen und sich abzuwenden. Feminismus ist kein schlagzeilenträchtiger Männerhass, keine Krise der Männlichkeit, wir wollen keine Weltherrschaft (jedenfalls die Meisten nicht) und erst recht keinen Krieg. Die Quintessenz ist fast zu simpel, um ihr diesen verschachtelten Satz zu würdigen und dennoch wird ihr zu oft mit Begriffsstutzigkeit begegnet: wir wollen Gleichberechtigung. Der einfachste Weg dorthin liegt in unserer tagtäglichen Sprache: warum man(n) und Frau gendern muss.
„Brauchen wir Feminismus in einem Land mit Frau als Bundeskanzlerin überhaupt noch?“
Ja. Ich könnte diesen Artikel in Gründen ertränken, ihn mit Statistiken und Prozentzahlen bestücken, bis er gefüllt ist wie Herr Prof. Baums Bücherregal. Für den statistischen Mehrwert, den wir alle so sehr lieben, dennoch ein paar Fakten:
- Trotz 16 Jahren Angela-Amtszeit ist das gesamte Grundgesetz im generischen Maskulinum geschrieben.
- Nur 11% der Vorstände in allen DAX-Unternehmen sind Frauen.
- Zwei Männer finden bei „Höhle der Löwen“ Investoren für einen pinken Handschuh, in glitzernden Sexismus eingepackt und als „Lösung eines offensichtlichen Problems“ betitelt. Er soll es Menstruierenden ermöglichen, ihre Periodenartikel hygienisch und artgerecht zu entsorgen, um potentielle Mitbewohner:innen vor dem unzumutbaren Anblick im Mülleimer zu schützen. Von Endstigmatisierung der Periode und Feminismus leider meilenweit entfernt.
- Bis letzte Woche hieß unser Ressort „Studierendenleben“ noch „Studentenleben“, obwohl die Hochschule Osnabrück kein Jungeninternat ist.
- Die für Sexismus exemplarischen Ergebnisse der Google-Picture-Suche von „Schulmädchen“ und „Schuljunge“. Probier es aus!
„Was soll gendern daran ändern?“
Die Notwendigkeit sickert nur tropfend ins gesellschaftliche Bewusstsein und scheint bisher zu den Wenigsten durchgedrungen zu sein. Kritiker:innen behaupten, es würde ausreichen, sich am Weltfrauentag blumenverteilend vor dem Rewe zu positionieren. Ob Frau Sexismus mit Rabattcodes für Unterwäsche bekämpfen kann und will, steht als offene These im Raum. Die grundlegende Problematik greift sie allerdings nicht, denn hier schlägt das generische Maskulinum zu. Die Spitze eines patriarchalischen Eisbergs, an dessen manifester Beständigkeit nicht nur die Titanic scheitert. Nicht-Männer werden dabei lediglich mitgemeint. Das bedeutet für mich als Frau, dass ich jedes einzelne Mal eine unterbewusste Transferleistung erbringen muss. „Studenten, da bin ich vermutlich mitgemeint. Könnte aber auch sein, dass es nicht so ist.“ Unsere Sprache ist hier einfach nicht explizit genug… Und das gerade in Deutschland, nach dessen grammatikversessenem Standard jedes Komma auf die Goldwaage gelegt wird.
Worte haben Macht. Sprache hat Macht, denn sie lenkt unsere Denkweise über die Umwelt und beeinflusst uns bishin zu unserem eigenen Selbstvertrauen. Wir leben in einer Gesellschaft, die bis in ihre tiefsten Wurzeln in sexistischen Strukturen verankert ist, welche bereits im Kindergarten erste Saaten streuen. Studien zeigen: wenn in Kinderbüchern nur FeuerwehrMÄNNER gezeigt werden, ist es weder Zufall noch Überraschung, wenn nur Männer bei der Feuerwehr arbeiten. Weder das weibliche Geschlecht noch zwei Brüste halten Frauen davon ab, Feuer zu löschen. Das Problem liegt einem gesellschaftlichen Paradox zu Grunde. Wir sollten schon im Kindesalter lernen, Diversität in die Sprache zu integrieren und gegenderte Bezeichnungen als normal aufzufassen. Damit schlügen wir zwei Fliegen mit einer Klappe: Vorteil für unseren Selbstwert und für die Gesellschaft. Die Kostenrechnung: minimaler Aufwand, maximaler Ertrag.
Die einen stopfen das Thema nun vielleicht augenrollend in die „Whataboutism“-Schublade und verstecken den Schlüssel. Währenddessen stellt diese scheinbar unzumutbare Veränderung Andere vor eine halbreife Existenzkrise. Was wird nun aus unserer geliebten deutschen Sprache?!
„Gendern zerstört die deutsche Sprache!“
Abrissparty, Nachtshopping, tindern, icke: all diese Wörter, über deren Wichtigkeit sich streiten lässt, stehen im Duden und sind somit Teil der amtierenden deutschen Rechtschreibung. Dem Himmel sei Dank ist Sprache wandelbar. Mein Abiturhirn, sich damals in resignierter Reue durch Schiller, Goethe und Fontane samt experimentierfreudiger Grammatikabenteuer kämpfend, ist sehr erpicht, dass Sprachwandel auch Denkwandel bedeutet. Denn Sprechen und Denken hängen untrennbar zusammen und bedingen sich gegenseitig. Ich, für meinen Teil, freue mich, dass sich die schriftliche Glorifizierung von Zwangsehe und rassistischen Begriffen in heutigen Romanen weitergehend zurückhält. Außerdem: das „ß“ , bis heute der unsexy Zwilling des „s“, der bei Familienfeiern den kleinsten Nachtisch bekommt, wollte auch nie jemand. DAS GIBT ES NICHT EINMAL IN GROSSSCHREIBUNG. Und nun soll ein Gendersternchen die Gesamtheit der deutschen Sprache gefährden, die sich seit fortan ganz prächtig zu entwickeln scheint?
„Gendern ist zu kompliziert.“
Wir beantragen Kreditkarten, stalken in aufwendiger Kleinarbeit alte Beziehungen, unterschreiben Mietverträge, aber Gendern ist zu kompliziert? Auch wenn Friedrich Merz sich in seiner tollwütigen Twittertirade unmissverständlich für „Hähnch*innenfilet“ ausspricht: so kompliziert ist es nicht. Wer es geschafft hat, sich zu immatrikulieren, der/ diejenige kann auch gendern! Und so einfach geht es: Für viele Personengruppen gibt es rhetorisch elegante Allgemeinformen, die dem Verwenden von Sternchen und Doppelpunkten profilaktisch vorbeugen:
Lehrer -> Lehrende.
Bei anderen Personengruppen geht das schlicht nicht. Anstatt sich mit „Ärzten und Ärztinnen“ einen Knoten in die Zunge zu haspeln und Personen auszuschließen, die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen, kommen diese Varianten in Frage:
Ärzte -> Ärzt*innen oder Ärzt:innen.
Und nun der appellierende Aufruf an Dich: Fühl Dich bitte ermutigt, zu gendern. Du kannst nichts falsch machen – jeder Schritt in die richtige Richtung ist einer zum Ziel!