Schönheitsideale im Wandel: Was sagen sie über die Gesellschaft aus?
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Seit dem 13. September gibt es in dem Museum Folkwang in Essen die Ausstellung „Grow it, Show it“. Sie beschäftigt sich mit den verschiedenen Bedeutungen von Haaren in der Geschichte und für die Gesellschaft. Warum diese Ausstellung nicht belanglos ist, zeigt ein persönlicher Erfahrungsbericht rund ums Thema Haare.
Wer sich länger mit den eigenen Haaren beschäftigt, findet womöglich schnell ein Haar in der Suppe. Dabei ist das Thema eine äußerst haarige Angelegenheit, wie eine Ausstellung in Essen zeigt.
Noch bis zum 12. Januar 2025 kann man die Ausstellung „Grow it, Show it“ in Essen sehen. Auf der Website des Museums steht, dass das wachsen, rasieren oder verbergen unserer Kopf-, Gesichts- und Körperhaare ein Ausdruck unserer Persönlichkeit sei. Doch auch die Zugehörigkeit zu gesellschaftlichen, religiösen oder kulturellen Gemeinschaften ließen sich über Frisuren ausdrücken.
Wie einem Bericht der Katholischen-Nachrichten-Agentur (KNA) zu entnehmen ist, zeigt die Ausstellung historische und aktuelle Fotografien und Videos. Dadurch ergibt sich eine Reise vom 19. Jahrhundert – vorherrschend mit strengen Frisuren – bis heute, wo Haare und Stylingtipps auf Social Media inszeniert werden. Auch Filmclips aus Kunst, Mode und Social Media unterstützen die zeitliche Entwicklung der Haare und ergründen dabei die geschichtlichen, politischen wie Alltagskulturellen Bedeutung von Haaren. In etwa:
Warum kurze Haare bei Frauen mögliche Stereotype brechen und weshalb es rassistisch ist, wenn die Haare von People of Colour ungefragt angefasst werden.
Haare kommunizieren, so steht es in dem oben benannten Bericht über die Ausstellung, mit dem Titel „Wie Haare Gefühle und Gesellschaft prägen“. So geben sie Auskunft über unsere Identität und senden unterschiedliche Botschaften aus.
Fünf Millionen Hornfäden bedecken den Körper des Homo sapiens
ein bis zwei Prozent der Weltbevölkerung trägt rotes Haar
70 bis 100 einzelne Haare verliert ein gesunder Erwachsener am Tag
Unterschiedliche Botschaften haben auch meine Haare ausgesendet, über all die 21. Jahre meines Daseins. Das wurde mir im Sommer dieses Jahres bewusst. Aus diesem Grund habe ich einen Text geschrieben. Als ich von der Ausstellung gelesen habe, habe ich mich an den Text erinnert:
Es sind nur Haare
Unter der Dusche stehen, mit den Händen durch die einzelnen Strähnen gehen und feststellen: Mein Haar hält Erinnerungen und gleichzeitig mich.
2014
Meine Haare sind naturkraus; ich hätte sie lieber glatt. Es scheint, als würden alle Mitschülerinnen mit glatten Haaren mehr gemocht. Immer hatte ich einzelne Strähnen, die sich so arg kräuselten, dass ich sie rigoros abschnitt. Manchmal verließ ich mein Elternhaus mit den Worten: Ich sehe so hässlich aus und meinte damit oftmals meine ungestümen Haare – mich.
Schließlich fühlte ich mich langweilig mit meinen braunen, faden Haaren. Also klatsche ich mir blonde Farbe in die Spitzen, meine Matte ist Ombré.
Ein Jahr später
Meine Haare ragen bis zu den Schulterknochen. Sie sind nur noch halb so dick wie letztes Jahr, genauso wie ich. Ich bin magersüchtig und der Großteil meiner Haare ist abgebrochen, sie ließen mich im Stich. Jetzt fühle ich mich ohnehin hässlicher. In meinem Körper sowieso und dann noch das strähnige Dickicht auf dem Kopf. Stattdessen begann mein Körper damit, Lanugohaare entlang meiner Glieder wachsen zu lassen. Als würde er mir zu verstehen geben wollen: Deine Haare auf dem Kopf sind wahrlich nicht schön, aber deine Organe, deine Haut und dein Leben braucht gerade noch mehr Haar – noch mehr Schutz.
Information: Lanugohaare
Lanugohaare oder auch Fetalhaarkleid genannt, ist ein dünner Haarflaum, der sich oftmals bei Ungeborenen bildet. Etwa im vierten Schwangerschaftsmonat schützen die Haare zusammen mit der Käseschmiere die Haut des Fötus. Bei Menschen mit einem sehr starken Untergewicht kann es zu einer erneuten Ausbildung der Lanugobehaarung kommen. Die Lanugobehaarung ist dann ein Schutzmechanismus des Körpers vor Kälte, wenn der eigene Körper zum Beispiel aufgrund eines zu geringen Körperfettanteils die Temperatur nicht selbstständig regulieren kann.
Mit den Jahren versprach ich mir Heilung und schnitt immer dann „all das Kaputte“ ab. Bei jedem Friseurbesuch schauten mich die Friseure mitleidig an, als ob sie unmittelbar verstünden, durch was für eine Zeit ich ging.
Corona-Pandemie
Die Haare wurden voller. Meine Hauptaufgabe neben den Kontaktregelungen: Haar leg los und sprieße. Ich wollte Sie spenden, einem Menschen, der auch wie ich nicht das beste Verhältnis zu seinen Haaren hat. Die Haare wuchsen und wuchsen, bis ich fast so aussah wie Rubeus Hagrid von Harry Potter.
Irgendwann waren meine Haare also lang genug: Ich konnte meine Haare spenden. Es fühlte sich wie eine Rückgabe an das Leben an.
Ein Ausdruck von: Ich bin mittlerweile so gesund, dass mein Körper wieder symbolisch Lebensfreude weitergeben kann.
Sie wuchsen wieder und bei gleicher Länge wie vor der Spende, hatte ich mich erneut an meinen Haaren satt gesehen. Vielleicht ein Pony oder ein kurzer Bob, optional Pixie? Ich hatte auf alles Bock.
Nur mein Umfeld nicht. „Also, wenn du dir das machst, dann bin ich weg“, sagte ein Freund von mir ironisch. Ich hörte auf diese Aussagen und hob mich selbst auf. Immer wenn ich zum Friseur ging, bat ich sie: nur das Kaputte soll ab.
Trotzdem schnitt meine Friseurin meine Haare immer etwas kürzer, als ob sie wusste:
Dein Herz fordert andere Haare, welche, mit denen du dich ausleben kannst.
Nach sieben Jahren endlich den Traumhaarschnitt
Im Sommer dieses Jahres schnitt mir eine Freundin schließlich die Haare. Kurzer Bob. Und dann setzte ich noch einen drauf und ging zu einer noch lernenden Friseurin, bei der ich mich seit langem in Bezug auf meine Haare wohlfühlte. Ich musste mich für kahle Stellen auf dem Kopf nicht schämen. Als ich ihr meine Idee mit dem Pixie Cut entgegenbrachte, legte sie ihre Schere an.
C-Schnitt, B-schnitt, noch nie zuvor gehört. Um mich herum mehrere Haarfusseln; all jene, die mein Kopf verlor. Wie beim großen Umstyling von Germany’s Next Topmodel blickte ich unmittelbar in den Spiegel und sah nach langer Zeit endlich mich.
Ich erinnerte mich an eine Situation in der siebten Klasse, wo ich einem damaligen Mitschüler versprach: „Irgendwann schneide ich meine Haare kurz“.
7 Jahre später tat ich es.
„Es steht dir gut.“
„Ungewohnt, aber passt wohl zu dir.“
Oder auch:
„Ich habe sofort gesehen, dass du lesbisch bist“, wenngleich ich hetero bin.
Die Frage, ob ich wegen meiner Haare ein Theo sei, ignorierte ich auch gekonnt. Denn trotz aller Kritik oder verblümten „Gefällt mir doch nicht so gut“, fühle ich mich frei.
Der neue Haarschnitt ist Ausdruck von folgendem: Zum ersten Mal schaue ich bei Entscheidungen auf mich. Nicht darauf, ob die derzeitigen Mode-Ikonen langes blondes Haar tragen oder ob ein Mensch in meinem Leben lieber lange Haare mag.
Ein Ticket für die Ausstellung kostet 10 Euro. Ermäßigt, also zum Beispiel für Studierende sogar nur 6 Euro.
Es sind nur Haare, ja. Aber sie begleiten mich an jedem Tag. Es sind nur Haare und das Leben ist zu kurz, als dass man diese ein Leben lang gleich trägt. Es sind nur Haare und trotzdem bedeuten Sie für viele Menschen Wohlfühlen, Wärme und Schutz.
Es sind nur Haare, nicht nur auf dem Kopf. Und doch ist dies mit das häufigste Thema, was bei Menschen einen Small Talk entlockt. Und vielleicht sind es aus all den Gründen eben nicht NUR Haare, sondern ein individueller Schopf.
… ich denke, dass ich die Ausstellung besuchen sollte.
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