Die gute Seele des IKMs: Renate Schonhoff
13. Juni 2021Meet Leah Wilp – Kandidatin für den Fachschaftsrat im Interview
21. November 2021Professorin, Omi, Studiendekanin: Frau Kirchhoff
Es ist Dienstag, der 18. Mai, die Uhr zeigt 17: 15. Ein langer Tag voller Vorlesungen, Referaten und anderweitigen Aufgaben neigt sich Richtung Feierabend. Professorin Sabine Kirchhoff grinst mir dennoch motiviert aus ihrer Zoom-Kachel mit dem altvertrauten Campus-Lingen-Hintergrund entgegen. Seit dem 10. März 2021 ist sie Studiendekanin des Instituts für Kommunikationsmanagement der Fakultät für Management, Kultur und Technik am Campus Lingen. Sie trägt ihren ikonischen hellblauen Pullover und versichert mir, dass sie sich auf meine Interviewfragen freue.
Zuerst einmal der theoretische Hintergrund: Was ist eine Studiendekanin noch gleich und wie wird man das?
Um Missverständnissen von vornherein aus dem Weg zu gehen, lasse ich mir zuerst von ihr persönlich erklären, was eine Studiendekanin eigentlich ist und wie man es wird. Frau Kirchhoff holt tief Luft und erläutert mir, dass man alle zwei Jahre vom Fakultätsrat gewählt wird. Unser Institut für Kommunikationsmanagement gehört zur Fakultät Management, Kultur und Technik. Es wird ein Vorschlag eingereicht, dann findet eine Wahl statt. Zwar dauert die Amtszeit nur zwei Jahre, „aber wenn man es vernünftig macht, wird man wiedergewählt“.
Eine Besonderheit unserer Fakultät in Lingen ist, dass man als Studiendekanin zugleich Institutsleiterin ist. Als Institutsleitung wirft sie ein Auge auf Budget, Personal , Ausrichtung und Strategieentwicklung, handlungsleitend sind dabei meist strategische Fragen „Wie wollen wir uns positionieren, in welche Richtung entwickeln wir uns?“. Ihre Hauptaufgabe als Studiendekanin: Lehre und Prüfung sicherstellen, sodass wir einen reibungslosen Lehrbetrieb vorfinden. Sie ist im Grunde für den Betrieb verantwortlich und sorgt dafür, dass Lehrbeauftragte da sind, die uns auch Dinge lehren, die nicht zum typischen Portfolio zählen. Die besondere Coronalage bringt eine Menge Fragen und wenige Antworten mit sich. „Wie wird das Wintersemester, findet es in Präsenz statt?…“ Das sei aktuell noch ein wenig unsicher, auch wenn die Hochschule Osnabrück unbedingt wieder zur Präsenzlehre zurückkehren will. Trotzdem sei es wichtig, aus Corona zu lernen und sich zu fragen, welche Konzepte hinsichtlich der digitalen Lehre Studierenden und Lehrenden echten Mehrwert gebracht haben, so dass wir diese mit in die Zukunft nehmen können.
Ein sehr umfangreicher Job mit vielen wichtigen Aufgaben. Wird mit einer neuen Studiendekanin nun alles anders?
Veränderung. Das ist Frau Kirchhoffs Stichwort. Enthusiastisch nickend berichtet sie, dass sie nicht von der Digitalisierung überrannt werden will – so wie ein Großteil der Schulen. Stattdessen möchte sie gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen unser Medienlabor zu einem Digitalisierungslabor ausbauen und Rahmenbedingungen schaffen, mit denen Lehrende attraktive digitale Lehrinhalte schaffen können. Vorher sollte man allerdings überlegen, welche Vorlesungen sich besonders eignen, um als Konserven produziert zu werden, sodass wir sie in unserem eigenen Tempo anhören können: wann und wo wir möchten, bis sich das Wissen gefestigt setzt. Dann bleibt in der Präsenlehre mehr Raum für die Auseinandersetzung mit Fällen zur Vertiefung. Aber digitales Lernen heißt nicht einfach, Vorlesungen digital anzubieten. Man muss auch das interaktive Potential der Technologien ausschöpfen und entsprechende didaktische Erkenntnisse berücksichtigen.
„Das klingt jetzt so leicht“, ergänzt sie, aber die Voraussetzungen und somit auch die Vorbereitung dieser Lehrveranstaltungen sind ganz anders. Man muss die neueren Erkenntnisse der Lernforschung berücksichtigen und möchte, dass die Studierenden Wissen aufbauen. Dadurch sollen sie in die Lage versetzt werden, Probleme zu erkennen und zu lösen. Es muss ein Gesamtkonzept entwickelt werden, um zu schauen und auszuprobieren, was uns Studierenden beim Lernen hilft.
„Nicht einfach: Wir machen das über Zoom. Wir müssen genau darauf achten, wo das Digitale an seine Grenzen stößt. Und vor allem müssen wir die Möglichkeiten ausloten, die den Standort Lingen noch attraktiver machen und die Qualität der Lehre und des Lernens verbessern. Wir wollen nicht die Präsenzlehre abschaffen. Wir an der Fakultät für Management, Kultur und Technik möchten gemeinsam mit allen Interessierten – also auch den Studierenden – ein vernünftiges Mischkonzept entwickeln, das sinnvoll und zukunftsweisend ist. Die Qualität der Lehre muss bei allen Entscheidungen im Vordergrund stehen.“
„Das geht nur, wenn alle Hochschulangehörigen an einem Strang ziehen – und darauf habe ich wirklich Lust.“
„Nicht so leicht“ – ist das Leben als Studiendekanin denn so leicht oder gibt es auch Schattenseiten?
Als „Studiendekanin in Ausbildung“ macht Frau Kirchhoff trotz langer Berufserfahrung viele Dinge zum ersten Mal. Der Aufwand spiegelt sich in ihrem Arbeitspensum wider: „Ich arbeite mindestens 60, meistens sogar 70 Stunden in der Woche.“ Hauptsächlich sei sie nämlich noch immer Professorin und bietet nach wie vor den Großteil ihrer Lehrveranstaltungen an, weil ihr die Lehre und der persönliche Kontakt zu den Studierenden wichtig sei. Zwischen Lehrveranstaltungen, klingelnden Telefonen, Fragen über Fragen, laufenden Ausschreibungen und Fristen läuft nebenbei zusätzlich noch eine Reakkreditierung, bei der die beiden Studiengänge des IKM von externen Gutachten evaluiert werden. „Den Selbstbericht zu erstellen, ist wirklich viel zusätzliche Arbeit. Es läuft halt alles parallel“.
Eine Menge Aufgaben, eine Menge Verantwortung, eine Menge Stress. Wo bleibt da der Ausgleich?
Wer in einer klassischen Kirchhoff-Vorlesung aufpasst, weiß, wie sie als passionierte „Omiline“ am liebsten ihre Freizeit verbringt: Nichts lässt sie mehr schwärmen und genießen als die Aussicht, Zeit mit ihren Enkeln zu verbringen.
Die Studiendekanin war einst auch junge Studentin – so wie wir. Was hat sie aus dieser Zeit mitgenommen? Gibt es ein Geheimrezept à la Kirchhoff für die Zwanziger?
Frau Kirchhoff: „Wenn man im Verlauf des Lebens Selbstvertrauen aufgebaut und eine Geschichte hat, in der man Einiges geschafft hat, dann vergisst man leicht, wie es am Anfang gewesen ist: Als man noch verunsichert war, als man sich eigentlich nur gewünscht hat, dass der Prof einen nicht sieht. Ja, so erging es mir wirklich, als ich so jung war wie sie.“ Ganz im Gegensatz zu unserem digitalen Studium saß sie als geburtenstarker Jahrgang damals mit 100 bis 200 Leuten in einer Veranstaltung – teilweise draußen auf den Fluren. Bilder, die man sich heute kaum vorstellen kann.
Dass Frauen studieren, war damals längst nicht selbstverständlich und nicht von jedem (männlichen) Prof gern gesehen. „Standardsprüche waren zum Beispiel: Die Frauen können gleich gehen, weil sie eh Kinder kriegen oder und hier nur männlichen Studierenden den Platz wegnehmen.“ Umso stärker war der Gruppenzusammenhalt in dieser Zeit: „Dadurch hatten wir eine eingeschworene Studierendengemeinschaft. Ich habe ein paar Komiliton:innen gehabt, mit denen ich durch Pech und Schwefel gegangen bin. Wir haben das gemeinsam gemeistert, uns gemeinsam gestärkt. Das Wichtigste ist, dass man sich austauschen kann, was Sie ja leider im Moment wegen Corona nicht ausleben können.“
Ihr Ratschlag an uns: nicht zu perfektionistisch und ein bisschen gnädiger mit sich selbst sein! Sie selbst sei immer Perfektionistin gewesen, habe zu viel gearbeitet und immer gedacht, dass es die Eins vor dem Komma sein muss. Das sei eigentlich „Quatsch“, weil im Nachhinein gar nicht so sehr auf die Note geguckt wird.
„Sehen Sie das Leben als Gesamtkunstwerk, wo es nicht nur ums Studium geht, sondern wo das Andere genauso wichtig ist. Sorgen Sie für sich.“
Wann der Campus Lingen sich wieder mit Studierenden füllen wird, steht noch in den Sternen. Ein besonderer Ort ist er für Frau Kirchhoff trotzdem.
Das Durchschreiten der Eingangstüren beschreibt sie als „erhebendes Gefühl“. In Erinnerungen schwelgend denkt sie an Vorlesungen zurück, die sie im KD gehalten hat. Der Blick aus den Fenstern, die Aussicht auf die Architektur: „Boah, das ist einfach toll hier“. Ausschlaggebend für die Attraktivität unserer Campus sei das Gesamtsetting:
„Wir sind eine kleine Einheit und egal ob Bibliothek, Institut oder Dekanat: die Türen sind überall offen. Das ist viel entscheidender, als einen Lieblingsplatz zu haben. Die Architektur ist sozusagen ein i-Tüpfelchen an einem Ort, an dem Anonymität ein Fremdwort ist.“
Ob im Monolog, Dialog oder auf Papier: Frau Kirchhoff gehen selten die Worte aus. Als Autorin einiger Bücher verrät sie mir, welches Buch ihr „Must Read “ ist.
Ich erfahre, dass ihr Lieblingsbuch lange Zeit „Das Grau der Karolinen“ von Klaus Modick war. Ein Autor, der unglaublich gut mit Sprache umgehen kann. Was bleibt, ist das Wort „phänomenal“ und die Erkenntnis, dass sie aufgrund von Zeitmangel mittlerweile kaum noch Belletristik liest. Dafür hat sie meistens mehrere Bücher parat, in die sie je nach Gefühlslage reinguckt, vor allem aus der positiven Psychologie, Philosophie, Neurobiologie und Buddhismus. Seit einiger Zeit macht unsere Studiendekanin regelmäßig Yoga und liest deswegen auch viel darüber.
Herausfordernd blickt sie durch den Bildschirm und fordert mich auf: „Fühlen Sie mal in ihre Hände rein… und jetzt fühlen sie mal in ihre Zehen… gibt’s einen Unterschied?“
Etwas perplex konzentriere ich mich, in meine Füße zu fühlen und stelle abgesehen von fehlenden Hausschuhen und kalten Zehen nichts fest. Verwirrt gestehe ich, dass ich meine Füße nicht bewusst spüre. Frau Kirchhoff nickt wissend und referiert: „Das Gespür für Hände und Füße ist vollkommen unterschiedlich: Mit den Händen machen wir alles. Die sind sofort präsent und nehmen viel Raum ein im Gehirn – auch physikalisch auf dem somatosensorischen Cortex. Füße nehmen wir eher wenig wahr, deswegen knicken so viele Menschen oft um. Es ist wichtig, in alle Körperregionen reinzuspüren um auch die Füße, mit denen wir uns erden, bewusst wahrzunehmen. Den Körper zu erspüren ist aber vor allem wichtig, um Stress abzubauen. Wenn wir in unseren Körper hineinfühlen, kann der Geist nicht abschweifen und das Gedankenkarussell steht still.“
Zum Schluss werfen wir gemeinsam einen Blick in die Zukunft: „Wo sehen Sie sich und das Institut in fünf Jahren?“
Frau Kirchhoff: „Ich wünsche mir, dass wir dann ein wirklich gutes Digitalisierungskonzept haben, sodass uns kein Winter in Lingen mehr was anhaben kann, wenn die Züge ausfallen. Dass wir ein System haben, bei dem wir ganz schnell umswitchen können, sodass kein Studierender mehr draußen in der Kälte stehen muss, weil hintereinander drei Züge ausfallen.“
„Ich wünsche mir, dass eigentlich alles gut läuft, ohne dass es mich braucht. Sodass ich auf der Matte liegen und meditieren kann. Das wäre doch gut, oder?“